II
Das Thema der „Madonna im Rosenhag“ - oder, eng
mit dieser verwandt und häufig sogar verschmolzen,
der Madonna im verschlossenen Garten, im „hortus con-
clusus“, der sowohl von einer Hecke als auch von einer
zinnenbewehrten, mit Türmen verstärkten Stadtmauer
umgeben sein kann - ist uns durch eine Reihe spätgoti-
scher Bildtafeln von Stefano da Zevio bis Martin Schon-
gauer zu einem so vertrauten, ja geradezu selbstver-
ständlichen Teil der spätmittelalterlichen Ikonographie
geworden, daß das durchaus Ungewöhnliche dieser Bild-
vorstellung meist gar nicht mehr bewußt wird. Tatsäch-
lich aber läßt sich die Darstellung der Madonna im
Rosenhag eindeutig weder auf einen textlichen Vorwurf
der Heiligen Schriften noch auf eine bestimmte Anregung
aus der theologischen Literatur des Mittelalters bezie-
hen. Im Gegenteil: Die Entstehung dieser Bildvorstel-
lung, bis heute weder nach Zeit noch Ort eindeutig ge-
klärt, dürfte außergewöhnlich kompliziert, d. h. den
verschiedensten Quellen verpflichtet sein.
Als sicher darf gelten, daß bei der „Bilderfindung“
des „hortus conclusus“ mit der verschwenderischen Blü-
tenpracht Anregungen aus dem Hohen Lied (Kapitel 4,
12 ff.) Pate gestanden haben, zumal der „hortus conclu-
sus“ nach mittelalterlicher Vorstellung als Garten der
Tugenden Mariae und Zeichen ihrer Jungfräulichkeit
angesehen, ja zuweilen auch als Symbol für die Gottes-
mutter schlechthin gesetzt wurde: „Meine Schwester, liebe
Braut, du bist ein verschlossener Garten, eine verschlos-
sene Quelle, ein versiegelter Born. - Deine Gewächse
sind wie ein Lustgarten von Granatäpfeln mit edlen
Früchten, Zyperblumen und Narden . ..“ Der Gedanke
des „Lustgartens“ ist in Lochners Bild ebenso anschau-
lich geworden wie in den anderen Darstellungen gleichen
oder verwandten Themas; freilich haben sich die Blumen
des Orients in die vertrauten Blüten des Abendlandes
verwandelt, und aus den Granatäpfeln sind Apfel und
die damals in Europa längst heimische Erdbeere ge-
worden.
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Das Thema der „Madonna im Rosenhag“ - oder, eng
mit dieser verwandt und häufig sogar verschmolzen,
der Madonna im verschlossenen Garten, im „hortus con-
clusus“, der sowohl von einer Hecke als auch von einer
zinnenbewehrten, mit Türmen verstärkten Stadtmauer
umgeben sein kann - ist uns durch eine Reihe spätgoti-
scher Bildtafeln von Stefano da Zevio bis Martin Schon-
gauer zu einem so vertrauten, ja geradezu selbstver-
ständlichen Teil der spätmittelalterlichen Ikonographie
geworden, daß das durchaus Ungewöhnliche dieser Bild-
vorstellung meist gar nicht mehr bewußt wird. Tatsäch-
lich aber läßt sich die Darstellung der Madonna im
Rosenhag eindeutig weder auf einen textlichen Vorwurf
der Heiligen Schriften noch auf eine bestimmte Anregung
aus der theologischen Literatur des Mittelalters bezie-
hen. Im Gegenteil: Die Entstehung dieser Bildvorstel-
lung, bis heute weder nach Zeit noch Ort eindeutig ge-
klärt, dürfte außergewöhnlich kompliziert, d. h. den
verschiedensten Quellen verpflichtet sein.
Als sicher darf gelten, daß bei der „Bilderfindung“
des „hortus conclusus“ mit der verschwenderischen Blü-
tenpracht Anregungen aus dem Hohen Lied (Kapitel 4,
12 ff.) Pate gestanden haben, zumal der „hortus conclu-
sus“ nach mittelalterlicher Vorstellung als Garten der
Tugenden Mariae und Zeichen ihrer Jungfräulichkeit
angesehen, ja zuweilen auch als Symbol für die Gottes-
mutter schlechthin gesetzt wurde: „Meine Schwester, liebe
Braut, du bist ein verschlossener Garten, eine verschlos-
sene Quelle, ein versiegelter Born. - Deine Gewächse
sind wie ein Lustgarten von Granatäpfeln mit edlen
Früchten, Zyperblumen und Narden . ..“ Der Gedanke
des „Lustgartens“ ist in Lochners Bild ebenso anschau-
lich geworden wie in den anderen Darstellungen gleichen
oder verwandten Themas; freilich haben sich die Blumen
des Orients in die vertrauten Blüten des Abendlandes
verwandelt, und aus den Granatäpfeln sind Apfel und
die damals in Europa längst heimische Erdbeere ge-
worden.
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