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Wurzbach, Alfred von [Bearb.]
Niederländisches Künstlerlexikon: mit mehr als 3000 Monogrammen (Band 1): A - K — Amsterdam, 1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.18166#0288
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274

Christus.

Christus. Petrus Christus oder
Christi, bei Waagen Petrus Christo-
ph o r i. bei Vasari Pietro Crista ge-
nannt, Maler, geb. in Baerle, einem Orte
bei Tilborg in Nordbrabant. Er kam 1443
nach Brügge, kaufte am 6. Juli 1444 (un-
gefähr vier Jahre nach Jan van Eycks
Tode) das Bürgerrecht in Brügge und starb
1472 daselbst. 1462 wurden er und seine
Frau Mitglieder der Bruderschaft Notre
Dame de l'Arbre See; 1463 malte er für
die Stadt einen großen Baum Jesses; 1471
war er Doyen der Malergilde in Brügge
und verfolgte als solcher Pierre C o u -
stain, den Maler Karls des Kühnen, und
dessen Schüler JeandeHemy, weil diese
in Brügge für die Bürger gearbeitet hatten,
ohne Mitglieder der Gilde zu sein. Da aber
Coustain in Diensten des Herzogs von Bur-
gund stand, entschied der Gerichtshof, daß
er von allen Zahlungen an die Zunft befreit
sei. Der Graf d'Estampes beauftragte
Petrus Christus, drei Kopien nach einem
wundertätigen Madonnenbilde zu machen,
welches aus der heiligen Grabkirche zu
Rom 1451 nach Cambrai gebracht worden
war; eine Kopie schenkte der Graf dem
Hospital zu Cambrai. Das byzantinische
Original soll noch existieren. Das sind
die wenigen Tatsachen der Biographie eines
Künstlers, der stets für einen unmittel-
baren Schüler der van Eycks angesehen
wurde und nocli heute als solcher gilt,
obgleich W. H. James W e a 1 e die Ur-
kunden veröffentlichte, welche die Hin-
fälligkeit dieser Ansicht dargetan haben.
Bis 1833 war nur sein Name in dem Ver-
zeichnisse der niederländischen Meister bei
Guicciardini von 1566 bekannt; 1833 fand
Passavant bei Beinigung eines Bildes der
Koll. Aders (jetzt in Frankfurt, Städel)
eine Bezeichnung und ein Datum, welches
er für 1417 las; daraufhin machte man
1393 zu seinem Geburtsjahre; da man ge-
wisses Beiwerk sowohl in seinen als in
angeblichen Bildern der van Eycks ver-
wendet fand, machten ihn die einen zu
einem Schüler Huberts, die anderen zu
einem Schüler Jan van Eycks. infolge-
dessen sagte man, daß er in Brügge gelebt
habe; als man aber ein anderes Bild fand,
welches er für die Goldschmiedsgilde in
Antwerpen gemalt hatte, ließ man ihn ab-
wechselnd in Brügge und in Antwerpen
residieren, und als man in Cölner Urkunden
einen Maler namens Christophsen oder
Christopherus fand, war es natürlich, dal.)
man Christophsen und Christus für ein
und denselben hielt. Man ließ ihn zwei
Eeisen nach Cöln machen, um die Cölner
Schule zu beeinflussen und anderseits von
der Cölner Schule Motive zu entlehnen.

Als endlich ein für Burgos gemaltes Bild
entdeckt wurde, erklärte man, Christus sei
in Spanien gewesen und habe eine Maler-
schule in Salamanca gegründet. Da aber
Christus 1443 nach Brügge kam, da sein
frühestes Bild, das Portrait von Edward
Grimston, 1446 datiert ist und da er in
dieser Stadt bis zu seinem Tode 1472 fort-
arbeitete, ist es wahrscheinlich, daß er
um 1410 geboren sei, und es ist unmög-
lich, daß er ein Schüler Huberts gewesen
sei. Was speziell jenes interessante Bei-
werk betrifft, das sich in seinen und van
Eycks Bildern finden soll, so kann es, wie
Weale vermutet, nach Mustern oder Patro-
nen gemalt sein, welche Jan v. Eyck hinter-
ließ und welche seine Witwe, da sie keinen
Sohn hatte, an Christus verkaufte; aber
bei näherer Betrachtung reduziert sich
dieses Beiwerk auf einen Teppich, der sich
in einem bezeichneten Bilde des Petrus
Christus im Städelschen Institut in Frank-
furt und in einem ebendaselbst befindlichen
Bilde einer thronenden Madonna mit dem
Kinde findet, welches seit Passavants Tagen
dem Jan van Eyck zugeschrieben wird.
Ein einziger Blick auf irgend ein echt be-
zeichnetes Bild von Jan van Eyck oder
auf einen der Flügel des Genter Altar-
bildes in Berlin genügt, um für immer die
Überzeugung zu schöpfen, daß diese Frank-
furter Madonna, genannt die Madonna
von Lucca, mit diesem dürftig model-
lierten Kinde unmöglich das Werk weder
des J a n noch des Hubert van Eyck sein
könne und daß sie mitsamt dem inter-
essanten Teppich wohl von Petrus Christus
selbst herrührt. Da dieses zu erkennen
kein besonderer Scharfblick nötig ist, könn-
ten wir über den Ankauf der Patronen
und Zeichnungen Jan van Eycks durch
Petrus Christus hinweggehen, wenn sich
nicht bei genauerem Studium der Werke
des Petrus Christus und der van Eycks
die Überzeugung aufdringen würde, daß
der erstere in der Tat nicht nur Bilder
der van Eyck kopiert habe, sondern
Skizzen, Zeichnungen, Modellstudien und
dergleichen von ihnen vor sich gehabt und
wirklich benützt habe. Dies wird insbe-
sondere deutlich aus einem Vergleiche des
bezeichneten Jüngsten Gerichtes und der
Verkündigung in Berlin mit dem von
Hubert v. Eyck herrührenden Jüngsten Ge-
richte in Petersburg und mit der Ver-
kündigung des Genter Altars. Beide sind
verwässerte Variationen desselben Themas
mit Benützung der vorhandenen Motive.
Dasselbe läßt sich allen Madonnen des
Petrus Christus nachsagen, aber es scheint,,
daß es Skizzen von H u b e r t v, Eyck,
nicht von Jan v. Eyck gewesen sind, die
 
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