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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 17.1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.3619#0109
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BESPRECHUN GEN. 1Q5

steht. Wir bedürfen eines viel reicheren Begriffssystems. Ein einfaches Gegensatz-
paar — wie es jetzt beliebt ist — reicht nicht aus. Die Begriffe werden auch ver-
wischt, weil man zu viel in sie hineinpreßt. Die Kontrastierung der Begriffe schafft
zwar größtmögliche Klarheit; aber die Funktion der Begriffe wird unbestimmt. Gräbt
man tiefer nach, entdeckt man bisweilen kunstphilosophische Trivialitäten: »Das
Klassische muß das Wilde immer durchgemacht haben. Sind die Ströme der Passion
vertrocknet, so ist das Klassische nicht mehr (und auch nicht einmal ebensoviel) wie
das Barbarische, sondern weniger.« Stimmt, aber es ist nicht neu, daß blutleerer
Akademismus äußerlichen Formelkram darstellt. Das rein Historische hat der Kunst-
schriftsteller unserer Tage überwunden; aber das Systematische, eigentlich Philo-
sophische fürchtet er auch. So treibt er eine Art »PopuIar«philosophie, die aber
durchaus nicht populär ist; eine Art philosophischen Expressionismus. So soll
z. B. das Exotische kein geographischer Begriff sein; es »ist vor der Entwicklungs-
geschichte und gegen sie. Es bezeichnet einen dauernden status quo.* Es be-
zeichnet also eine bestimrnte Lebens- und Kunstmöglichkeit; dann ist es aller Klassik
fremd. In diesem Fall scheint mir die Benennung irreführend; schließlich wäre auch
ein van Gogh exotisch. Hausenstein schreckt davor nicht zurück; obgleich er eben
Exotik und neues Europa scharf geschieden hat. Aber eine leichte Verschiebung
der Begriffe; Ausnahmen schleichen sich ein; neue Aspekte blitzen auf. Man nennt
das Beweglichkeit des Denkens; aber sie geht auf Kosten seiner Sauberkeit. Auch
der barocke Geist wird dem Exotischen zugeschlagen, jener »unbegreifliche Moment,
in dem Europa sich noch einmal in die Ursprünglichkeit erster Kräfte verwandelte«.
Als Impressionismus Trumpf war, schien schlechthin alles Werthaltige impressio-
nistisch. Andere wieder brachten ein jegliches zur Gotik in Beziehung. Nun herrscht
der Sturm des Exotischen. Diesen Einseitigkeiten verdanken wir viel: denn sie
werden zu Entdeckern; sie wecken Vergangenes; sie schaffen die legitimierende
Ahnenreihe der Kunst der Gegenwart. Aber sie haben Scheuklappen. Dem Vorteil
auf der einen entspricht der Nachteil auf der anderen Seite. Alle Kunst liegt da-
nach zwischen Barbarismus und Klassik; und auch diese muß noch durchpulst sein
von Barbarenblut. Früher meinte man, alle Kunst liege zwischen Lebensgehalt und
Formharmonie; und auch diese müsse noch vom Leben getragen sein. Sehr groß
scheint der Denkfortschritt nicht. Aber Intuitionen glühen in dem Buche, glück-
liche Schauungen sind da, warme Kunstnähe und Begeisterung; und darum ist es
eine willkommene Gabe; besonders auch dem Kunstphilosophen, dem es reiches
Material zuträgt.

Rostock. Emil Utitz.

Oskar Kokoschka, Variationen über ein Thema. Mit einem Vorwort von
Max Dvorak. Wien 1921, Verlag Richard Lanyi und Ed. Strache.
Es ist immer ein bedeutsames, nicht nur die Erkenntnis vertiefendes, sondern
auch menschlich erhebendes Schauspiel, wenn zwei innerlich verwandte Geister einer
Zeit, die verschiedenen Schaffensgebieten angehören, zusammentreffen. Der ideelle
Gehalt einer Zeit, das ihr innewohnende geistige Wollen, die sich auf verschiedenen
Gebieten in unabhängigen, aber wahlverwandten und auf das gleiche Ziel gerichteten
Schöpfungen offenbaren, treten da in visionärer Klarheit vor das Auge dessen, der
den tiefen Zusammenhängen in allem geistigen Geschehen nachspürt. Dem Philo-
sophen, der zu den Dingen metaphysischen, und dem Historiker, der zu ihnen zeit-
lichen Abstand gewinnt, bleibt es sonst meist vorbehalten, die tiefen Wesenszusammen-
hänge gleichzeitiger geistiger Erscheinungen zu erfassen und als Erkenntnis den
 
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