Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 17.1924

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3619#0108
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
104 BESPRECHUNGEN.

Handelnder. Er will ja etwas bewirken und Einfluß nehmen. Bloß geht die Über-
steigerung manchmal zu weit! häufig erweckt er den Anschein, als ob er das Exo-
tische als Paradies unserer Hölle gegenüberstellt. Er ist viel zu gescheit, um in so
brutalen Farben zu sehen; aber er gibt sich Stimmungen hin, die er nachträglich
kurz korrigiert. Er wägt nicht, sondern preist an. Und da werden wir bisweilen
mißtrauisch. Aber: auch solche Stellen haben ihren Eigenwert. Denn anschaulich
erleben wir die Gefühlswelt, aus der heraus es zu der neuen Einschätzung exo-
tischer Kunst kommt; ja fast zu ihrer Vergottung. Werden doch schon zuweilen
rohe Götzenbilder verehrt wie einst innige Mariendarstellungen. Wie sich um diese
ein blühender Legendenkranz schlingt, beginnt auch dichterisch beschwingte Deu-
tung den metaphysischen Gehalt jener Götzen zu umkleiden. Schließlich umwallt
sie ein prächtiges Festgewand. Aber wie viel daran ist ursprünglich echt, wie viel
von uns gewebte Zutat? Wieder war es der Herausgeber dieser Zeitschrift, der
auf die übertriebene und verstiegene Deutungssucht der Psychoanalyse und der
okkulten Wissenschaften hinwies. Es ist also die gleiche Tendenz, die hier nach
verschiedener Richtung sich auswirkt. Hausenstein erliegt ihr nicht; davor bewahrt
ihn seine Einstellung auf das Sichtbare. Doch Tribut zollt er ihr auch. Der Glanz,
der da aufrauscht, ist kein auf seine Echtheit geprüftes Gold.

Das Exotische scheint auf eine Überwindung des bloß Natürlichen zu zielen.
Aber nicht ein Einspruch gegen das Natürliche wird unternommen, sondern eine
Überbietung. Würde etwa die Natur einen noch furchtbareren Leoparden hervor-
bringen, als sie es tat, gliche er einer brasilianischen Bastmaske. Unser Naturalis-
mus ist aber keine verdichtete, erhöhte Natur, sondern ein Weniger an Natur. Wir
streben zur Natur und bleiben hinter ihr zurück — deshalb das Künstliche — die
Exotik geht von der Natur aus. Daher fließen von ihr Schauder, die nie vom Künst-
lichen, immer nur vom Natürlichen auszugehen vermögen, weil nur das Natürliche
glaubwürdig, das Künstliche aber durchsichtig und verdächtig ist. Hausenstein um-
reißt hier scharf einen grundlegenden Unterschied; aber damit trennt er nicht exo-
tische Kunst und die des neuen Europa. Denn fehlt uns wirklich jener schöpfe-
rische, bereichernde Naturalismus? Man darf bloß nicht aus der Exotik lediglich
das Beste herausgreifen und von Europa minderwertigen Durchschnitt. Aus dem
vielfältigen Naturalismus der wilden Kunst — in dem Tierisches und Göttliches ver-
schmilzt — löst sich exotische Klassik. »Bestimmte Bezirke exotischer Kunst trennen
sich von dem Barbarischen, mit dem sie unter der Erde doch so innig zusammen-
hängen. Sie heißen: Indien, China, auch Japan.« Ich darf wohl die Frage auf-
werfen, ob denn diese hochentwickelten Künste — gewiß für uns exotisch — auch
der »wilden« Kunst zugerechnet werden können. Dann gehört schließlich alles
hinein. Das Klassische ist nun das Reich der Mitte. »Die irdische und die meta-
physische Schale sind auf den nämlichen Horizont gebracht. Das Metaphysische
und das Animalische haben an elementarer Gewalt verloren. Ihre Identität, er-
schütternd im barbarischen Bild, ist im klassischen liebenswürdiger geworden. Das
Irdische hat sich aus sich selbst erhoben. Das Metaphysische hat sich an sich
selbst herabgelassen. In der Begegnung ist das Menschliche entstanden. Besser:
das, was die Älteren das Humaniore genannt haben.« Die Gefahr des Klassischen
liegt im Bewußtsein von der Kunst. Sie liegt im Kultus des Künstlerischen — »ihr
Lendemain ist das Artistische, die Manier, der Mechanismus«. Zweifellos ist dieser
Begriff des Klassischen aus unserer Klassik geschöpft und wird nun auf die Exotik
angewandt. Ich halte die Frage für durchaus berechtigt: wie verhält sich exotische
Kunst zu der klassischen? Man vergesse aber nicht, daß mit Aufdeckung solcher
Ähnlichkeits- und Verschiedenheitsbeziehungen allein nur ein verzerrtes BilS ent-
 
Annotationen