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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 17.1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.3619#0107
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BESPRECHUNGEN. 103

Man beargwöhnt das Raffinement unserer Zivilisation, fürchtet ihren Maschinen-
mechanismus, die verheerenden Katastrophen ihrer Krisen, den zersetzenden Nihilis-
mus ausgebrannten Glaubens; und man lechzt nach Ursprünglichkeit, Echtheit, Un-
gebrochenheit. Die einen träumen von Gartenstädten, wo Felder wogen und Wälder
rauschen, erlöst von den sengenden Wirrnissen des Tages. Und andere flüchten
bis zu den Exoten. Rousseaus Gefühlsatmosphäre geistert in der Luft. Nur suchen
die einen die Natur-Idylle, die anderen die Natur-Dämonie. Die komplizierte Künstelei
wird verhöhnt; man will Kunst, die aus starkem Leben wächst, nicht ihm aufge-
pfropft wird. Und man will ein Leben, in dem ungezügelt Tierisches mit leuchtend
Göttlichem sich vermählt. Instinkt und Metaphysik; das Intellektuelle aber ist ver-
dächtig. Wie eine Krankheit erscheint es, die an der Gesundheit frißt. Gleich einer
Insel Utopia taucht da auf die verzauberte Welt des Exotischen, lockend und
schreckend, voll Kraft und Überschwang, voll Gleichnissen und Geheimnissen. Es
ist die nämliche Strömung, die — wie der Herausgeber dieser Zeitschrift betont
hat — in die okkulten Wissenschaften hineinführt; und die gleichen Gefahren um-
kreisen sie. Das Nachahmen der Antike wird zu akademischer Blutleere, denn wir
sind keine Griechen. Ein kritikloses Sich-Hingeben an exotische Bildnerei würde
ein viel traurigeres Maskenspiel; die Tragik verschwände hinter der Komik. Wir
gewännen nichts, verlören aber alles, was wir erobert haben. Hausenstein hat recht:
gerade im Augenblick der reinsten Dankbarkeit müssen wir uns am heißesten daran
erinnern, daß wir Europäer sind.

Damit kommen wir zur Würdigung des sehr schönen Buches, das Hausenstein
uns beschert und der Verleger vorzüglich ausgestattet hat. Die Auswahl der Tafeln
ist überraschend gelungen. Hausenstein ergriff das künstlerisch Eigenartigste und
Bedeutsamste — frei von allen ethnologischen Seiteninteressen — und legt damit
eine Sammlung vor, die des stärksten Eindrucks gewiß sein darf. Die Instrumen-
tation ist so glanzvoll, daß ich sogar leise Bedenken nicht unterdrücken kann. Wenn
ich eine sehr beschränkte Anzahl von Meisterwerken unserer Zeit aussiebe, erscheint
sie schlechthin bewundernswert. Schleppe ich mich durch den Münchener Glas-
palast oder durch eine andere Massenschau des Durchschnitts, packt mich Grauen.
Gewiß besteht unbestreitbares Recht, das Beste streng auszusuchen und alles andere
auszumerzen. Jedes Museum sucht danach zu handeln. Es sind dann eben Gipfel
aus einem Berg- und Hügelgelände. Aber von diesem Gelände erfährt man bei
Hausenstein zu wenig; und dadurch verunklärt sich sogar die Lage der Gipfel.
Wäre uns die ganze Antike bis auf wenige — sogar mäßige — Statuen verloren,
sie erschienen als unvergleichliche Meisterwerke. Wie viel ist in der Exotik Kon-
vention; wie reich ist sie an Typen; ist manches kunstgewerbliche Spielerei, der
suggestiver Ausdruck glückt? Das läßt sich schwer am Material Hausensteins ab-
lesen. Dadurch verleitet es zu voreiligen Überschätzungen. Einiges schlägt durch
mit der Kraft des Wunders, weil es uns so fremd ist. Künstlerisch soll das kein
Tadel sein: es ist der Rausch des ersten Eindruckes, der unwiederbringlich ist. Aber
werten wir als Forscher, müssen wir besonnen sein. Unsere Dankbarkeit wird hier-
durch nicht gemindert: Hausenstein macht uns jene Kunst in intensivster Weise er-
lebbar; darum muß er für sie werben; eindringlich, begeisternd, unterstreichend.
Die nötigen Abstriche werden schon erfolgen; erst muß die Bahn freigelegt werden.
Der sehr kluge, kenntnisreiche, kunstnahe Text unterzieht sich dieser Aufgabe.
Hausenstein zählt heute — mit Recht — zu unseren führenden Kunstschriftstellern;
nur muß sein Stil noch eine gewisse Gespreiztheit verlieren, um ganz durchsichtig
zu werden. Das Agitatorische, das er hat, und das schroff Polemische gehören zum
Kunstschriftsteller; ist er doch nicht nur Erkennender wie der Forscher, sondern
 
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