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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0106
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102 BESPRECHUNGEN.

Setzung, und soweit ist man dann mit ihnen auch zufrieden; dieses Schaffen aber
richtet sich nicht zuletzt auf jene Zubereitung für unsere Sinnlichkeit.

Gewiß ist der ästhetische Gesichtspunkt nicht der einzige, der die Kunst er-
schöpfend erfaßt, es muß eben zum Unterschiede von der Natur das freie Schaffen
des Künstlers dazu genommen werden und das muß in der Kunstwirkung ununter-
brochen als Hintergrund im Unterbewußtsein des Aufnehmenden da sein; der enge
Zusammenhang aber zwischen dem Ästhetischen und der Kunst zeigt sich auch
gerade darin, daß, wenn man für dieses freie Schaffen des Künstlers keinen Sinn
hat, also wenn man überall nicht ein Bild, sondern Abbild, Nachbildung, Bildnis
und Illustration sieht, was manche Betrachter ja überall fertig bekommen — daß
man dann auch unästhetisch sieht. Und umgekehrt: wenn man in diesem Sinne
sich unästhetisch verhält, d. h. gedanklich über das Gegebene hinausgeht, in beliebige
Phantasien abschweift, so sieht man auch unkünstlerisch. Und endlich: wenn man
auch alles sinnlich Wahrnehmbare in der Welt ästhetisch ansehen kann, selbst etwas
Außerkünstlerisches von Menschenhand, ja sogar eine mathematische Formel wie
a2 + 2ab + b2 mit ihrer anschaulichen Symmetrie, und wenn man auch anderseits
alles unästhetisch ansehen kann, selbst etwas Künstlerisches — so fallen darum
beide Begriffe doch noch nicht auseinander! Es gibt Grade der Ausbildung des
Individuums, die das ästhetische Verhalten immer leichter und häufiger eintreten
lassen, und dazu wird man namentlich mit Hilfe der Kunst erzogen; und es gibt
durchschnittlich der Kunst gegenüber auch beim ganz Unerzogenen mehr
ästhetisches Verhalten als gegenüber dem praktischen Leben oder selbst der land-
schaftlichen Natur. Auch beim Höchsterzogenen aber werden die ästhetischen Er-
lebnisse, die er haben kann, ganz überwiegend an die Gelegenheiten gebunden
sein, die die Kunst gibt.

»Ästhetisch und schön« ist ein weiterer Abschnitt überschrieben. Auch
das unterscheiden wir längst, sehen aber den Umfang des Begriffes »schön« überall
gedeckt von dem des Begriffes »ästhetisch«, der seinerseits über jenen hinausgeht.
Hamann dagegen will wieder die beiden Begriffskreise sich nur schneiden lassen,
er meint: das Gefallen an der Schönheit bedinge noch nicht den ästhetischen Zu-
stand. Ich kann auch hier nicht beipflichten; man darf eben ein solches Gefallen,
wie er es dabei im Auge hat, wissenschaftlich nicht mit dem Worte Schönheits-
wirkung bezeichnen. Er nimmt als Beispiel die erotische Wirkung von Frauen-
schönheit auf einen Mann, — ja das ist doch ein ganz besonderer, komplizierter
und dennoch leicht in seiner Heterogenität gegenüber dem Ästhetischen durch-
schaubarer Fall, dem außerdem schon die Beobachtung entgegengehalten werden
kann, daß ein Mann die Schönheit einer Frau vollkommen einsehen und wür-
digen und trotzdem erotisch gänzlich unberührt bleiben kann, hingegen von
einer anderen Frau, deren viel geringere Schönheit er ebenso klar einsieht, erotisch
affiziert werden kann. Ich kann mir weiter denken, daß man erst ein reines
Schönheitsgefallen empfindet und dann in zeitlicher Folge, gerade auf Grund dieses
Gefallens, sich noch andere Empfindungen dem Gegenstand gegenüber einstellen;
warum sollte nicht gelegentlich ein rein ästhetischer Eindruck weiterhin erotisch
wirksam weiden können? Man ist bekanntlich häufig genug zur umgekehrten Kon-
struktion, zu der Behauptung, die Schönheitswirkung sei stets erotogen, merkwürdig-
behende bereit gewesen. Wenn man aber überhaupt nicht zu einem reinen Wohlgefallen
gelangt, für solche Fälle würde ich empfehlen, nicht von »schön« zu sprechen,
sondern etwa von »reizend«. Vielleicht empfindet man in solchen Fällen das
Begehrenswerte und weiß daneben selber, daß man denselben Gegenstand auch
schön finden könne, und nennt es darum so häufig schön. Es wird sich die
 
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