222 BESPRECHUNGEN.
Ähnlichkeit mit den Beschreibungen von Bildern des europäischen Impressionismus.
>Sieht man sie in der Nähe, so gleichen die Dinge in ihren Gemälden formlosen
Massen, aber hält man sie entfernt, so kommt die Landschaft in ihren Hauptzügen
wundervoll heraus und weckt tiefe Empfindungen, löst Gedanken aus, als blickte
man in ein unbekanntes Land«, zitiert Glaser nach dem Ausspruche eines ost-
asiatischen » Ästhetikers« (S. 100). Trotz alledem verhält sich die Sache aber nach
Glaser anders. »Das Habokubild leistet das letzte an Verzicht auf das Gegenständ-
liche, es ist die reinste Verkörperung eines ästhetischen Prinzips« (S. 101). Es ist also
kein Schnell-Hinsehen, wie im europäischen Impressionismus, sondern ein Traum-
Hinsehen, ein Verschwommen-Sehen. Die Naturnähe, die »Wirklichkeit« würde
der seelischen Grundstellung widersprechen; deshalb sieht man »kaum«. Man
träumt gleichsam die Form der Dinge, man gibt jene Auflösung der Gebilde, die in
ihrer Unbestimmtheit zum grenzenlos Flutenden der Stimmung führt. Der europäische
Impressionist reißt die Augen auf, zu einem raschen, blutigen Griff in die Natur.
Der Japaner dieser Einstellung schließt die Augen halb, tastet bloß leise und unge-
fähr an die Dinge, um im Verschwimmenden der Gegenständlichkeit die Seele ins
weiteste Träumen geraten zu lassen. So bekommt, von dem Boden einer anderen
Kultur aus, die fast gleiche äußere Form eine völlig andere »Bedeutung«, findet in
völlig anderen Gefühlserlebnissen ihre »Erfüllung«. Und daß diese Kunst der
entsprechenden Deutung der malerischen Kurzschrift auch in Japan besonderes
Verständnis erfordert, beweisen Zitate japanischer Schriftsteller wie folgende: »Das
erste, worauf man in einem Bilde achten soll, sind Geist und Rhythmus, dann erst
mag man an Stil und Pinselführung denken« (S. 101); oder, wie Shell Kua sagt:
»In Kalligraphie wie Malerei bedeutet die Seele mehr als die Form. Die guten
Leute, die Bilder betrachten, können meist kleine Fehler in Form, Komposition,
Farbe herausfinden. Aber weiter kommen sie nicht. Zu den tieferen Prinzipien
dringen nur wenige vor« (S. 101).
Das folgende Kapitel »Der Raum« bringt für die Landschaftsauffassung dieser
Kunstweise abermals wesentliche Bestimmungen. Auch hier seien einige be-
zeichnende Zitate als Referat gegeben. »Die Ferne ist die Seele der Landschaft.«
(S. 103.) Dieser Satz gibt die Grundstimmung. »Früher war eine gewisse Breite
des Nahgesehenen von oben nach unten abzulesen', jetzt eine Zone des Fern-
gesehenen, die ebensosehr in sich einheitlich ist. Sie setzt keine verschiedene
Augenakkomodation voraus, sondern rechnet von Anfang an mit paralleler Ein-
stellung der Sehachsen. Man setzt sogleich mit dem Fernbilde ein. Das ist von
prinzipieller Bedeutung im Gegensatz zur europäischen Kunst, die den Beschauer
stufenweise die Tiefe abtasten läßt« (S. 108). »Alle diese greifbaren Elemente der
Raumdarstellung sind nur Vorbereitung. Sie geben dem Auge die Richtung für
den letzten Schritt, der hinausführt ins Reich des Gestaltenlosen, in jenen Raum,
der nicht mehr ein regelhaft konstruierbares Gebilde ist, sondern das große Ge-
heimnis der Welt« (S. 109). =>In den leisesten Schwebungen des Tuschtones liegt
das Wesentliche. Erst hier rührt man an den eigentlichen Gehalt dieser Kunst.
Ein Nichts scheinbar gibt ihm Gestalt. Nicht die Form nützt dem Maler, das Bild-
lose zu bilden, sondern die Leere, das Nichtseiende« (S. 110). »Dieses Nichtseiende
besitzt dem Ostasiaten in einem anderen Sinne Wesenheit als dem Europäer. Das
Nichtsein ist ihm selbst Qualität. Die Negation bedeutet ihm nicht nur Verneinung
eines Zustandes, sondern Setzung eines anderen. Die Kiefer, der Fels ist in der
scharfen Führung seiner Linien nicht wesentlicher als die leere Fläche des Papieres,
die nur ein zarter Ton belebt, der nicht Himmel bedeutet, nicht die Wölbung des
Firmamentes wiedergibt .. . sondern der die Ferne selbst ist, das Unbestimmte und
Ähnlichkeit mit den Beschreibungen von Bildern des europäischen Impressionismus.
>Sieht man sie in der Nähe, so gleichen die Dinge in ihren Gemälden formlosen
Massen, aber hält man sie entfernt, so kommt die Landschaft in ihren Hauptzügen
wundervoll heraus und weckt tiefe Empfindungen, löst Gedanken aus, als blickte
man in ein unbekanntes Land«, zitiert Glaser nach dem Ausspruche eines ost-
asiatischen » Ästhetikers« (S. 100). Trotz alledem verhält sich die Sache aber nach
Glaser anders. »Das Habokubild leistet das letzte an Verzicht auf das Gegenständ-
liche, es ist die reinste Verkörperung eines ästhetischen Prinzips« (S. 101). Es ist also
kein Schnell-Hinsehen, wie im europäischen Impressionismus, sondern ein Traum-
Hinsehen, ein Verschwommen-Sehen. Die Naturnähe, die »Wirklichkeit« würde
der seelischen Grundstellung widersprechen; deshalb sieht man »kaum«. Man
träumt gleichsam die Form der Dinge, man gibt jene Auflösung der Gebilde, die in
ihrer Unbestimmtheit zum grenzenlos Flutenden der Stimmung führt. Der europäische
Impressionist reißt die Augen auf, zu einem raschen, blutigen Griff in die Natur.
Der Japaner dieser Einstellung schließt die Augen halb, tastet bloß leise und unge-
fähr an die Dinge, um im Verschwimmenden der Gegenständlichkeit die Seele ins
weiteste Träumen geraten zu lassen. So bekommt, von dem Boden einer anderen
Kultur aus, die fast gleiche äußere Form eine völlig andere »Bedeutung«, findet in
völlig anderen Gefühlserlebnissen ihre »Erfüllung«. Und daß diese Kunst der
entsprechenden Deutung der malerischen Kurzschrift auch in Japan besonderes
Verständnis erfordert, beweisen Zitate japanischer Schriftsteller wie folgende: »Das
erste, worauf man in einem Bilde achten soll, sind Geist und Rhythmus, dann erst
mag man an Stil und Pinselführung denken« (S. 101); oder, wie Shell Kua sagt:
»In Kalligraphie wie Malerei bedeutet die Seele mehr als die Form. Die guten
Leute, die Bilder betrachten, können meist kleine Fehler in Form, Komposition,
Farbe herausfinden. Aber weiter kommen sie nicht. Zu den tieferen Prinzipien
dringen nur wenige vor« (S. 101).
Das folgende Kapitel »Der Raum« bringt für die Landschaftsauffassung dieser
Kunstweise abermals wesentliche Bestimmungen. Auch hier seien einige be-
zeichnende Zitate als Referat gegeben. »Die Ferne ist die Seele der Landschaft.«
(S. 103.) Dieser Satz gibt die Grundstimmung. »Früher war eine gewisse Breite
des Nahgesehenen von oben nach unten abzulesen', jetzt eine Zone des Fern-
gesehenen, die ebensosehr in sich einheitlich ist. Sie setzt keine verschiedene
Augenakkomodation voraus, sondern rechnet von Anfang an mit paralleler Ein-
stellung der Sehachsen. Man setzt sogleich mit dem Fernbilde ein. Das ist von
prinzipieller Bedeutung im Gegensatz zur europäischen Kunst, die den Beschauer
stufenweise die Tiefe abtasten läßt« (S. 108). »Alle diese greifbaren Elemente der
Raumdarstellung sind nur Vorbereitung. Sie geben dem Auge die Richtung für
den letzten Schritt, der hinausführt ins Reich des Gestaltenlosen, in jenen Raum,
der nicht mehr ein regelhaft konstruierbares Gebilde ist, sondern das große Ge-
heimnis der Welt« (S. 109). =>In den leisesten Schwebungen des Tuschtones liegt
das Wesentliche. Erst hier rührt man an den eigentlichen Gehalt dieser Kunst.
Ein Nichts scheinbar gibt ihm Gestalt. Nicht die Form nützt dem Maler, das Bild-
lose zu bilden, sondern die Leere, das Nichtseiende« (S. 110). »Dieses Nichtseiende
besitzt dem Ostasiaten in einem anderen Sinne Wesenheit als dem Europäer. Das
Nichtsein ist ihm selbst Qualität. Die Negation bedeutet ihm nicht nur Verneinung
eines Zustandes, sondern Setzung eines anderen. Die Kiefer, der Fels ist in der
scharfen Führung seiner Linien nicht wesentlicher als die leere Fläche des Papieres,
die nur ein zarter Ton belebt, der nicht Himmel bedeutet, nicht die Wölbung des
Firmamentes wiedergibt .. . sondern der die Ferne selbst ist, das Unbestimmte und