284 PAUL FELDKELLER.
neten, Text empfinden" wir hier als künstlerische Schwäche. (Die
[edle] Tanzkunst aber benutzt den Gesichtssinn nur als Mittel und
wendet sich im Grunde an den Bewegungs- und Muskelsinn. Sie
verwendet darum die intellektuellen Elemente ähnlich wie die Musik.)
Wir sehen — während die klassische Musik außer den ihr imma-
nenten intellektuellen Elementen, die sie zeigt, daneben bloße Stre-
bungs-, Wohl- und Harmoniegefühle erzeugt — als Wirkung der
impressionistischen Musik eine ungemein interessante Synthese 'von
Fühlen und Denken in der komplexen Gestaltqualität. Entgegen jenen
typischen, rein formalen und bedeutungslosen bloßen Gefühlen be-
gegnen wir in diesen häufig so überaus menschlich bedeutungsvollen
Erlebnissen einer reichen Inhaltlichkeit. Diese ästhetisch unverwertet
zu lassen, wie es geschehen müßte, wollte man nach dem Willen der
Formalisten in der Musikästhetik alle heterogenen intellektuellen Ele-
mente von der Musik fernhalten, würde zu einer beklagenswerten
Dezimierung der Hilfsmittel und Ausdrucksmöglichkeiten der musika-
lischen Kunst und damit zu einer seelischen Verarmung dieser selbst
führen. Was Hanslick vom »Opiumrausch« beim Anhören impressio-
nistischer Musik spricht, trifft nur für solchen Kunstgenuß zu, in dem
die — ganz unwesentliche — Gefühlsseite vorherrscht. Um sich aber
deren ganz untergeordnete Bedeutung klarzumachen, betrachte man
Bilder wie das durchgeistigte Antlitz Kants auf der Jubiläumsplakette
von A. Heinrich oder des alten Goethe von Schwerdgeburth und frage
sich, was an den so erzeugten Physiognomien »gefühlsmäßig« ist.
Physiognomien d. h. Gestaltqualitäten sind individuell ins Unendliche
differenziert, während Gefühle nur eine geringe, fest umgrenzte Zahl
von Typen aufweisen. Nicht anders steht es mit den durch Werke
der Musik erzeugten Physiognomien.
Man kann ruhig sagen, daß niemand eine Beethovensche Symphonie
so hört, wie Beethoven selbst sie in sich gehört hat. Gerade das für
das Verständnis Wertvollste hat der Komponist nicht gegeben, sondern
naiv geglaubt, es käme jedem von selbst, wenn er nur zuhörte. Nun
kommen aber selbst bei der erhabensten Musik keinem Menschen er-
habene Gedanken, sofern er sie nicht erstens zur Disposition hat und
zweitens empfindet, daß sie und welche gemeint sind. Mit der Hinzu-
fügung eines geeigneten Worttextes seitens des Komponisten — be-
stehe er auch nur in Überschriften — ist jedoch noch nicht alles getan.
Es erweisen sich für die faszinierenden Gestaltqualitäten mancher Ton-
sätze (z. B. des Vorspiels zu »Meistersinger« III) gewisse abstrakte
Gedanken als bedingend. Wir wissen aber, daß nicht alle Menschen
der erforderlichen Gedanken fähig sind. Es ist mithin das Verständ-
nis solcher Musikwerke für den Hörenden nicht möglich, wo dieser
neten, Text empfinden" wir hier als künstlerische Schwäche. (Die
[edle] Tanzkunst aber benutzt den Gesichtssinn nur als Mittel und
wendet sich im Grunde an den Bewegungs- und Muskelsinn. Sie
verwendet darum die intellektuellen Elemente ähnlich wie die Musik.)
Wir sehen — während die klassische Musik außer den ihr imma-
nenten intellektuellen Elementen, die sie zeigt, daneben bloße Stre-
bungs-, Wohl- und Harmoniegefühle erzeugt — als Wirkung der
impressionistischen Musik eine ungemein interessante Synthese 'von
Fühlen und Denken in der komplexen Gestaltqualität. Entgegen jenen
typischen, rein formalen und bedeutungslosen bloßen Gefühlen be-
gegnen wir in diesen häufig so überaus menschlich bedeutungsvollen
Erlebnissen einer reichen Inhaltlichkeit. Diese ästhetisch unverwertet
zu lassen, wie es geschehen müßte, wollte man nach dem Willen der
Formalisten in der Musikästhetik alle heterogenen intellektuellen Ele-
mente von der Musik fernhalten, würde zu einer beklagenswerten
Dezimierung der Hilfsmittel und Ausdrucksmöglichkeiten der musika-
lischen Kunst und damit zu einer seelischen Verarmung dieser selbst
führen. Was Hanslick vom »Opiumrausch« beim Anhören impressio-
nistischer Musik spricht, trifft nur für solchen Kunstgenuß zu, in dem
die — ganz unwesentliche — Gefühlsseite vorherrscht. Um sich aber
deren ganz untergeordnete Bedeutung klarzumachen, betrachte man
Bilder wie das durchgeistigte Antlitz Kants auf der Jubiläumsplakette
von A. Heinrich oder des alten Goethe von Schwerdgeburth und frage
sich, was an den so erzeugten Physiognomien »gefühlsmäßig« ist.
Physiognomien d. h. Gestaltqualitäten sind individuell ins Unendliche
differenziert, während Gefühle nur eine geringe, fest umgrenzte Zahl
von Typen aufweisen. Nicht anders steht es mit den durch Werke
der Musik erzeugten Physiognomien.
Man kann ruhig sagen, daß niemand eine Beethovensche Symphonie
so hört, wie Beethoven selbst sie in sich gehört hat. Gerade das für
das Verständnis Wertvollste hat der Komponist nicht gegeben, sondern
naiv geglaubt, es käme jedem von selbst, wenn er nur zuhörte. Nun
kommen aber selbst bei der erhabensten Musik keinem Menschen er-
habene Gedanken, sofern er sie nicht erstens zur Disposition hat und
zweitens empfindet, daß sie und welche gemeint sind. Mit der Hinzu-
fügung eines geeigneten Worttextes seitens des Komponisten — be-
stehe er auch nur in Überschriften — ist jedoch noch nicht alles getan.
Es erweisen sich für die faszinierenden Gestaltqualitäten mancher Ton-
sätze (z. B. des Vorspiels zu »Meistersinger« III) gewisse abstrakte
Gedanken als bedingend. Wir wissen aber, daß nicht alle Menschen
der erforderlichen Gedanken fähig sind. Es ist mithin das Verständ-
nis solcher Musikwerke für den Hörenden nicht möglich, wo dieser