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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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Major, Erich: Kunst und Krieg
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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0355
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348 BEMERKUNGEN.

Nicht als Narziß allein, in der träumenden Selbstigkeit der Ruhe lieben wir die
Schönheit, noch mehr in der Freiheit, die ihr die Tätigkeit und die Symbole größter
Lebensnot gewähren, in dem Schwung, der aus der Notwendigkeit entsteht, sich
jeden Augenblick mit den gewaltigsten Mitteln zu bejahen.

Erst durch diese Aktivität erhält die Schönheit das nötige Unbewußte, um
nicht ganz in sich zu versinken, sondern in das Leben hinauszutreten, wo gekämpft
wird, wo Preise zu erfechten sind und ein Ziel winkt über aller Schönheit.

Die Vollendung des Körpers, die ohnehin nur erreichbar ist durch Ausbildung
kriegerischer Fähigkeiten, sie blüht aus den ikonischen Bildsäulen, aus den antiken
Sarkophagen und Friesen, ja selbst aus den Darstellungen der Inder, der Ägypter
und Assyrier, bei den Bildern von Rubens, Velasquez, Raffael und tausend anderen.

Zugleich aber — und hier verbinden sich Krieger und Kunstwerk noch inniger —
zeigt sich immer wieder das Bedürfnis nach Kriegsschmuck, nach einem
äußeren Reiz, der den kämpfenden Helden vor den anderen auszeichnet. Der
Federbusch, das glänzende Erz, das zugleich die Möglichkeit schönster Ornamentik
bot (Schild des Achilleus!), die Rüstung mit ihren mannigfachen Formen, später
dann die Schabraken der Pferde, »der bunte Rocke, das »zweierlei Tuch«, all das
sind Beispiele, wie innig die Helden früherer Jahrhunderte die Notwendigkeit
empfunden haben, zu glänzen und zu blenden und sich äußerlich zu stilisieren.

Heute freilich ist die Stilisierung des Kriegers beinahe gänzlich vernichtet.
Äußerlich und rezeptiv für den Anschauenden hat unser Krieg mit Kunst wenig
mehr gemein, und nicht einmal das »Schlachtbild« ist uns geblieben, das selbst noch
vor wenigen Jahrzehnten, in den Kriegen der siebziger Jahre, vorhanden war.
Realistisch, nordisch, nüchtern bei aller furchtbaren Gewalt ist unser Krieg, und da
er rezeptiv vielleicht oft weniger bietet als der ältere Einzelkampf, ist um so höher
zu schätzen, daß er uns trotzdem so viel bedeutet und unser innerstes produk-
tives Kriegsgefühl erweckt: die Vaterlandsliebe und die Selbstaufopferung.

Wie könnten wir ihn auch entbehren, den Krieg, den »Vater aller Dinge«,
menschlich und künstlerisch! Die Erzählungskunst hat aus ihm die energischesten
Reize und Spannungen geschöpft, das Erstaunliche steigert sich bei ihm ins Un-
gemessene, und die wilde Bewegung, die wirbelnden Eindrücke der Schlacht sind
lockend für Meister der Schilderung wie Äschylos (Schlacht bei Salamis!), Lilien-
cron, Viktor Hugo und Zola. Das Schlachtfeld gehört zu Shakespeare wie die
Hölle, dieses furchtbarste aller Schlachtfelder, zu Dante, zu Homer, zu Tolstoi, zu
Tasso und wohl auch zu Beethoven, dem jede Symphonie, jede Sonate zum geistigen
Schlachtfeld wird. Denn das Kriegerwort: »Setzet ihr nicht das Leben ein, nie
wird euch das Leben gewonnen sein«, es läßt sich auch dahin umdeuten, daß nur
jene Helden das tiefste Interesse aufwühlen und die Vibration der größten Teil-
nehmer erregen, die geistig oder körperlich ihr Herzblut geben oder zu geben bereit
erscheinen.

Deswegen ist der Anblick des deutschen Volkes jetzt auch künstlerisch der er-
habenste, der sich denken läßt. Mag tausendfach Zerstörung wüten und herrliches
Leben in den Staub sinken, die Kunst hat noch aus jedem Zeitalter von Heroen
Großes geschöpft und sich stets an Beispielen des Lebensmutes zur eigenen Leistung
ermutigt. Die Liebe, die Klopstock, Körner, Uhland, Heinrich v. Kleist erfüllte, die
ihnen Stoff zu ewigen Worten gab, kann nicht als gänzlich außerästhetisch weg-
geschoben werden, sondern muß als berechtigte Form der produktiven Grund-
empfindung des Künstlerischen, der Begeisterung überhaupt ihre Geltung be-
wahren.
 
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