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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0478
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BESPRECHUNGEN. 47 J

des Naturforschers. Nur der Beziehungspunkt der Formung (Synthese) ist beide
Male ein anderer. Diese Beziehungspunkte sind nämlich Werte von verschiedener
Dignität. Die Philosophie schafft diese Werte nicht, sondern hebt sie nur aus den
historisch vorliegenden Kulturen ins Bewußtsein. Die erzeugenden Werte der
Kulturgebiete Wissenschaft, Moral und Kunst heißen »rein«. Die theoretischen,
ethischen und ästhetischen Grundwerte ergeben nun bei ihrer Anwendung auf das
Material je ein Kategoriensystem, das den Inhalt zu theoretischen, ethischen und
ästhetischen »Sinninhaltlichkeiten« oder »konkreten Gültigkeitenc konstituiert, diese
dienen dann einem entsprechenden Subjektsverhalten zur regulierenden Norm.
Grundwert und Kategorien zusammen bestimmen die wissenschaftliche Begriffs-
bildung; den Grundwerten entsprechend gibt es naturwissenschaftliche, historische,
ethische, ästhetische und religiöse »Begriffe«. Demselben Material gegenüber sind
für den Standpunkt des erkenntnistheoretischen Idealismus mehrere geltende Syn-
thesen möglich. Die »künstlerische Wirklichkeit«: tritt als eine Synthese suigeneris
neben die theoretische in Beziehung auf dasselbe Material. Beide sind erkenntnis-
theoretisch (d. i. geltungstheoretisch) prinzipiell gleichwertig. Die wissenschaftliche
Wirklichkeit ist nur ein Sinnzusammenhang neben andern.

Am Begriff der künstlerischen Wirklichkeit wird dies als einem Beispiel er-
läutert. Auch die Wirklichkeit, wie sie der Künstler meint, will wahr sein. Gibt
es demnach eine doppelte Wahrheit? Ist von einer Folge Töne, die das Programm
als eine Symphonie Beethovens bezeichnet, das wahr, was der Physiker davon
sagt, oder was der Künstler damit meint? Beides gilt, das eine ist theoretisch,
das andere ästhetisch gültig. Der ästhetische Sinnzusammenhang ist so wenig ein
bloßes Phantasiegebilde wie der theoretische. Derselbe Inhaltskomplex wird das
eine Mal in das Beziehungssystem Kunst, das andere Mal in das Beziehungssystem
Erfahrungswissenschaft eingestellt. »Eine Symphonie Beethovens untersteht als
Klanggebilde restlos den physikalischen Gesetzen der Akustik, sie untersteht aber
ebenso als Kunstwerk den Gesetzen der ästhetischen Sinnsynthese: ästhetische
Sinnsynthese und physikalische Sinnsynthese stören sich nicht im mindesten.« Das
Gegenständliche stammt nicht aus der Erlebnis-, sondern aus der Geltungs-
sphäre. Nur so wird begreiflich, daß es zwei Wissenschaften von demselben
Objekt geben kann.

Die künstlerische Wirklichkeit greift durch die anschauliche Welt hindurch die
Erlebniswelt selbst. Gebunden an die Idee »künstlerische Synthesis« nimmt sie
an ihr eine Sinnsynthese sui generis vor. Die Erfahrungswissenschaft faßt das
Gegenständliche der anschaulichen Welt in theoretischen Urteilen, die Kunst
eine gegenständliche Synthese isolierter Momente der Erlebniswelt in ästhetischen
Werken, die Moral eine gegenständliche Synthese der Gefühle und Wollungen
gegenüber deren biologischen Verkettungen in ethischen Handlungen. Es ist
ein Verdienst des Impressionismus, den Künstler von der Einstellung auf das
empirisch vorgefundene Weltbild, die biologisch orientierte Inhaltssynthese befreit
zu haben. Er hat gelehrt, vom Wissen um die Dinge zum Erlebnis zurück-
zugehen. Neben die Forderung des Impressionismus tritt aber die expressionistische:
Bildeinheit! Die impressionistisch erfaßten Data des Erlebnisses müssen in die
spezifisch ästhetische Geltungsform (Synthesis) gebracht werden. Diese braucht
sich aber um deren empirische Synthese, das Weltbild von Hinz und Kunz, nicht
zu kümmern. Ästhetisch wirklich und wesentlich ist für sie das, was der Geltungs-
einheit Kunst dient; das aber muß sich mit dem, was wissenschaftlich wirklich und
wesentlich ist, keineswegs decken. — Die neue Bewegung in der Kunst hat damit
ihre philosophische Begründung gefunden. — Die spezifisch ästhetische Synthesis
 
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