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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 10.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.3818#0479
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472 BESPRECHUNGEN.

ist der »ästhetische Gegenstand« (wohl zu unterscheiden von dem Inhalt des Kunst-
werks). Weder der behauene Marmorblock, noch das, was in irgend einem Subjekt
(Künstler oder Beschauer) vorgeht, ist der Gegenstand. Dieser »west« als ästhetische
Sinneinheit ebenso in sich selbst wie irgend eine wissenschaftliche Sinneinheit,
z. B. der Satz 2x2 = 4.

In der Philosophie als Wissenschaft hat auch bezüglich ethischer oder ästhe-
tischer Fragen eine bloße Gefühlsverschwommenheit keinen Platz, die Trans-
zendentalphilosophie der Kunst hat die »verdammte Pflicht und Schuldigkeit«, auch
in ästhetischen Fragen über bloßes schöngeistiges Gerede und pathetische Predigt
hinaus die begriffliche Struktur der ästhetischeil Werte »genau so zu unter-
suchen, als ob es sich um Planetenbewegung oder Kristallbildungen handelt«. Es
gibt nicht nur theoretische, sondern auch ästhetische Begriffe (-Prinzipien des be-
bestimmten Sinnzusammenhangs einer bestimmten Inhaltsmannigfaltigkeit«) im
strengen Sinne des Wortes. —

Das geistreich und temperamentvoll geschriebene, durch eine etwas üppig
wuchernde Terminologie zu sehr beschwerte Buch führt in öfteren Wiederholungen
mit großer Ausschließlichkeit eigentlich nur wenige Gedanken durch. Diese Ge-
danken sind kaum neu; nach Rickerts, Windelbands und Euckens Forschungen lagen
sie in der Luft. Immerhin ist ihre klare Formulierung ein Verdienst. Einen wirk-
lichen Fortschritt bedeutet Münchs Buch nicht. Es bleibt zu sehr im allgemeinen
stecken. Das Ganze ist mehr eine Werbe- und Bekenntnisschrift, als eine strenge
Untersuchung. Die Forderung von »Begriffen«, der wir von ganzem Herzen zu-
stimmen, ist von dem Verfasser selbst leider nicht überall erfüllt worden. Er
selbst wird manchmal pathetisch und steigt zu tief in die Erlebniswelt hinab. Eine
theoretische Abhandlung verträgt die Sprache des Dichters nicht, auch dann nicht,
wenn es sich um die Transzendentalphilosophie als Weltanschauung handelt. Die
Philosophie muß sich hüten, erbaulich sein zu wollen.

Bei Problemen, die so sehr in die Tiefe reichen, ist eine Kritik nur andeutungs-
weise möglich. Da scheint es zunächst, als überspannte der Verfasser die Grund-
gedanken des transzendentalen Idealismus etwas zu sehr. Das Nacherleben der
ungeheuren Wendung, die durch die »kopernikanische Tat« herbeigeführt wird,
ist leicht geeignet, den Blick für alles andere momentan zu schließen. Wer aber
diese Wendung einmal vollzogen hat, der muß allmählich auch wieder zur Welt
zurückzufinden wissen. Die ersten grundlegenden Erörterungen sind vorhanden;
jetzt gilt es, die Fruchtbarkeit der neuen Methode zu zeigen, ihre Anwendbarkeit
auf das allzu leicht verachtete »Material« zu beweisen. Münchs Buch schwelgt im
Selbstgenuß der Methode. Wir wissen wohl, daß die neue Methode zunächst nur
vorhandenes begründen will. Aber gerade in den Geisteswissenschaften, zu deren
Begründung sie hauptsächlich nötig war, gibt es noch so viele Desiderate, mangeln
noch an so vielen Stellen feste »Begriffe«. Diese Begriffsbildung wird uns zunächst
am Herzen liegen müssen. Man beweist die Richtigkeit methodischer Grund-
gedanken durch nichts besser als durch ihre Anwendung.

Mit dem Umstand, dass man sich heute allzuviel mit den Grundlagen be-
schäftigt, hängt eine gewisse Verachtung der Empirie, des bloßen »Stoffes« zu-
sammen. Das gibt ein polemisches Element, welches aus systematischen, also un-
populären Erörterungen allmählich verschwinden dürfte. Derjenige, für den die
Grundgedanken des transzendentalen Idealismus nichts neues mehr sind, wird auch
wieder zu einer unbefangeneren Würdigung der »Materie«, der bloßen »Erlebnis-
welt« gelangen. Der Spontaneität, der Synthesis wird dadurch kein Eintrag getan,
daß man anerkennt, auch dasjenige, was geformt wird, enthalte im einzelnen Auf-
 
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