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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 11.1916

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Marcus, Hugo: Die Distanz in der Landschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.3817#0052
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DIE DISTANZ IN DER LANDSCHAFT. 47

naht man sich nicht ohne weiteres und allzu dicht, man drängt sich
'hm nicht auf. Die Ehrfurcht, die man dem Kunstwerk erweist, wird
^an aber auch den Bildern der Natur, schon wegen der Größe, mit
"er sie imponieren, nicht verweigern. Und wählen wir die Distanz
zum Kunstwerk freiwillig, weil wir Ehrfurcht fühlen, so wird uns —
wiederum in Umkehrung unseres kunstgenießenden Verhaltens — vor
der Landschaft, wenn nicht anders, schon deshalb Ehrfurcht ankommen,
Weil wir eine so große Distanz zwischen uns und der Ferne liegen
sehen.

Die Distanz fördert aber auch den rein genießenden, den ästheti-
schen Zustand in uns. Denn was so dicht bei uns ist, daß wir es
greifen können, legt uns auch den Gedanken nahe, es selbständig
Zu gestalten und uns praktisch, ethisch daran zu betätigen. Was da-
ngen so fern ist, daß wir es nur noch sehen, aber nicht mehr greifen
können, ist unserer unmittelbarsten Einwirkung auf evidente Weise
er|trückt und legt den rein anschauenden, den kontemplativen, willen-
'°sen, den ästhetischen Zustand als ersten nahe. Und daß dieser im
Beschauer entstehe, ist für den Landschaftsgenuß deshalb so besonders
w'chtig, weil die Landschaft an und für sich ja noch kein ausschließ-
"ch ästhetisches Gebilde ist, sondern ein Stück Wirklichkeit, das ebenso-
gut auch in außerästhetischem Sinne betrachtet werden kann. Wir
können demnach geradezu folgende Gegenüberstellung wagen: Halten
Wir vor dem Kunstwerk zuvörderst deshalb Distanz, weil das Kunst-
Werk ein ästhetischer Gegenstand ist, der uns in ästhetischen Zustand
Versetzt, so versetzt uns vor der Landschaft nicht selten die Distanz
erst in den ästhetischen Zustand, kraft dessen uns das Landschafts-
ö'ld zum ästhetischen Gegenstand wird.

Der ästhetische Zustand sieht die Dinge an so, wie sie sich dem
Unmittelbaren, momentanen Eindruck geben. Er fragt nicht nach ihrem
Bestand außerhalb des Eindrucks, nicht nach ihren letzten Gründen,
n°ch nach dem, was »dahinter« ist. Er resigniert bewußt und weise
^'t bezug auf solche Fragen. Vielmehr genügt ihm der bunte Schein
^, er> anders ausgedrückt, die Oberfläche der Dinge, die ja auch am
Kunstwerk das Wesentliche ist. Dem ästhetischen Zustand in uns
entspricht an den Dingen mithin ihre Oberflächengestaltung, ihr Ober-

'ächenantlitz. Die Ferne aber ist es, welche uns von vornherein nur
°|e Oberfläche der Dinge sehen läßt (während die Nähe in die Tiefe

uhrt). Das Vordere verdeckt das Tiefere aus der Fernsicht. Berge,

zwischen denen sich noch so weite Täler spannen, gehen, aus der

erne betrachtet, zu einer glatten Haut zusammen, die Dächer der

^tadt werden zu einer scheckigen Mauer, welche die wirkliche Struktur,

aen praktischen Sinn der Straßenanlagen zwischen ihnen nicht im
 
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