Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 11.1916

DOI Artikel:
Marcus, Hugo: Die Distanz in der Landschaft
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3817#0051

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
V.

Die Distanz in der Landschaft.

Von

Hugo Marcus.

In der Landschaft finden wir zuweilen dasjenige, was wir vor dem
Kunstwerk freiwillig und willkürlich tun, als Notwendigkeit von außen
bereits uns auferlegt, dagegen bleibt das, was von der Kunst durch
äußere Nötigung vorgeschrieben wird, in der wirklichen Landschaft
nicht selten unserer freien Willensentschließung überlassen. Als Bei-
spiel für dieses umgekehrte Verhalten, das Kunst und Landschaft uns
unter gleichem Gesichtspunkt ansinnen, sei nur daran erinnert, wie
das Kunstwerk seine Grenzen durch die objektive Nötigung des
Rahmens selbsttätig zur Anerkennung bringt: während es in der wirk-
lichen Landschaft unserer freien Entschließung vorbehalten bleibt, wo
wir im Räume eine Abgrenzung annehmen wollen. Umgekehrt liegt
die Sache hingegen im Falle des künstlerischen Abstandes. Bekannt-
lich braucht man zum Kunstwerk einen Abstand, eine Distanz. Aber
es bleibt vor dem Kunstwerk doch unserem freien Willen überlassen,
ob wir eine solche Distanz innehalten wollen und welche. Vor der
Landschaft jedoch findet sich die wichtige Tatsache der Distanz zwi-
schen Beschauer und Anblick schon von selbst und ohne weiteres
mitgegeben. Denn die Landschaft ist das räumlich größte, u. a. also
auch räumlich tiefste Gebilde, das es gibt; und selbst ein verhältnis-
mäßig naher Gegenstand bleibt uns deshalb innerhalb der wirklichen
Landschaft immer noch fern genug. Dazu kommt, daß Ziele unseres
Blickes stets gerade die fernsten Gegenstände sind, in der Landschaft
also etwa die letzte Kette des Gebirges, der Horizont usw. Man kann
mithin vor einer Landschaft eigentlich gar nicht stehen, ohne schon
Distanz zu ihr zu halten, ob man es will oder nicht; die Distanz, die
man in der Kunst erst mühsam suchen muß, hat man vor der Land-
schaft schon von selbst. Unsere Verhaltungen vor Kunst und Natur
ergänzen einander also in ihrer Gegensätzlichkeit.

Welches ist die Bedeutung der Distanz für die Landschaft? Ein-
mal ist die Distanz ein Ausdruck der Ehrfurcht. Einem Kunstwerk
 
Annotationen