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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 11.1916

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Rodenwaldt, Gerhart: Wölfflins "Grundbegriffe" und die antike Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3817#0437

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Bemerkungen.

Wöifflins „Grundbegriffe" und die antike Kunst

Von

Oerhart Rodenwaldt.

Wolfflin hat in den abschließenden Bemerkungen seiner »Kunstgeschichtlichen
Grundbegriffe« darauf hingewiesen, daß der Stilentwicklung in der neueren Kunst
wesensverwandte Erscheinungen sich auch in anderen Stilen finden und daß die
antike Kunstgeschichte zum Teil die gleichen Begriffe anwende. Historische Parallelen
können verschiedenen wissenschaftlichen Zwecken dienen. Sie sind für eine ge-
schichtsphilosophische Betrachtung Material zum Herausarbeiten begrifflicher allge-
meiner Gesetze, in der sehr eingeschränkten Bedeutung, die überhaupt in der
Geschichte das Gesetzmäßige im Gegensatz zur Naturwissenschaft besitzt. In der
eigentlich historischen Forschung können Parallelen entweder den Zweck haben,
über eine lückenhaft bekannte Erscheinung durch eine deutlichere Licht zu ver-
breiten, oder durch die Nebeneinanderstellung verwandter Bildungen die Eigenart
einer jeden um so deutlicher herauszuarbeiten. Die folgenden Bemerkungen sollen
auf die Aufgabe hinweisen, Wölfflins Analyse des Barock für eine schärfere Er-
kenntnis der entsprechenden Periode der antiken Kunst zu verwerten. Von einer
Kritik an den Ausführungen Wölfflins wird dabei ausdrücklich abgesehen.

Es bedarf keines Beweises, daß die Analyse der Klassik in allen ihren Dar-
stellungsformen zutrifft für die antike klassische Kunst im engsten Sinne, das Zeit-
alter Lysipps. Auch das Verhältnis des Klassischen zum Vorklassischen ist in vieler
Beziehung entsprechend. So ist das Verhältnis zu Fläche und Tiefe (W. S. 106 ff.)
bei der klassischen griechischen Malerei gegenüber der vorklassischen ein ganz
ähnliches wie bei der Malerei des Cinquecento gegenüber der der Primitiven. Auch
sie kehrt nach den perspektivischen Versuchen und Spielereien des fünften und
der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts zum Flächigen und Schichtenmäßigen
zurück, freilich — im Unterschiede von der modernen Klassik — ohne zur Be-
herrschung der Perspektive und der Darstellung des Raumes gelangt zu sein. Man
darf hier aber die Kausalität nicht umdrehen und in dieser Rückkehr zur Fläche
eine Resignation nach vergeblichem Bemühen sehen, sondern sie ist im Gegenteil
die Frucht einer Anschauungsform, die so lebendig und stark war, daß sie die Er-
oberung der Tiefe gar nicht aufkommen ließ.

Die Parallele zur modernen Klassik bedarf noch einer Einschränkung in bezug
auf die Architektur. Die Plastik und zum großen Teil die Malerei steht nicht nur
in bezug auf die »Kategorien«; der Anschauung und in bezug auf die Qualität,
sondern auch hinsichtlich des Umfangs der Aufgabe der modernen Kunst gleich.
Für die Architektur der klassischen Periode treffen wohl der Stil und die Qualität
zu, aber man muß sich gegenwärtig halten, daß die Zahl und Art der Bauformen,
nicht nur in den Innenräumen, sondern auch in der Außenarchitektur, eine wesent-
lich beschränktere und primitivere war.
 
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