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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 11.1916

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Flemming, Willi: Epos und Drama
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https://doi.org/10.11588/diglit.3817#0137

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ViH.

Epos und Drama.

Von
Willi Flemming.

Vorbemerkungen.

Theorien sind gut, aber sie müssen sich dem Leben gegenüber
erst fruchtbar erweisen. Nun mehrten sich jedoch in den letzten
Jahren die Stimmen, die da behaupten, die wissenschaftliche Beschäfti-
gung mit ihnen sei ganz unfruchtbar. Da stand der junge Lehrer hilflos
vor der Klasse. Wie sollte er die Jugend in den Geist eines Dramas
einführen? Was er gelernt hatte, all die Quellen, Ähnlichkeiten der
Motive, frühere oder spätere Bearbeitungen desselben oder eines ähn-
lichen Themas, all das stolze Wissen versagte vor dem Leben: das
Kunstwerk wollte nicht lebendig werden und die Schüler noch viel
weniger. Die Wissenschaft versagte eben wieder vor dem Leben,
aber das bloße Fühlen wollte auch nichts fruchten. Nicht viel anders
ging es auch dem berufsmäßigen Kritiker; eine Zeit lang half wohl
die impressionistische Geistreichelei über das offene Zugeständnis des
Bankrotts hinweg, nun aber diese auch gründlich abgewirtschaftet
hat, was nun? Wir hatten offensichtlich etwas verlernt, etwas ganz
Fundamentales. Bei all der Beschäftigung mit dem Leben des Künst-
lers, bei all dem Vergleichen mit anderen Werken, bei all dem Ein-
ordnen und Registrieren hatten wir vergessen, daß das Kunstwerk
ein Lebewesen ist, daß dieses ganz zu erfassen die Hauptaufgabe
und Voraussetzung für alles weitere ist. Historische Einordnung und
Dichterpsychologie, wie auch eine sogenannte Kunstphilosophie helfen
da gar nichts, so interessant sie sein mögen. Kunstwissenschaft
ist notwendig, die uns die Eigenart eines Kunstwerkes überhaupt erst
erschließt. Einen möglichst weiten allgemeinen Begriff zu abstrahieren
und danach zu schematisieren und zu klassifizieren, das alles kann
uns nicht helfen; ganz ebensowenig wie analytische Urteile unsere
Erkenntnis erweitern, sondern nur ordnen. Von »Kunst an sich« zu
hören, mag sehr erhebend sein, nutzt leider der Wirklichkeit des
Werkes gegenüber kaum. Eine bloß aus einer Menge von Beispielen
 
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