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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0384
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BESPRECHUNGEN.

Karl-Heinz Clasen: Die gotische Baukunst (Handbuch der Kunst-
wissenschaft, 1930).

Die gotische Baukunst, auf knapp 250, mit ebensoviel Abbildungen durchsetzten
Seiten für die Zwecke eines Handbuchs darzustellen, ist keine leichte Aufgabe. Sie
verlangt übersichtliche Anordnung des Denkmälerbestands in zureichender Aus-
wahl, Orientierung über das baugeschichtliche Einzelschicksal und sein Verhältnis
zur Gesamtbewegung, Sonderung der nationalen und allgemein abendländischen
Entwickelung. C. erweist sich als sachkundiger, zuverlässiger Führer, der bisheri-
gen Forschung verpflichtet, ohne egozentrischen Ehrgeiz nach neuartigen Aspekten,
aber doch in manchem Betracht bemüht, sich selbständig mit dem Thema auseinan-
derzusetzen.

Die Grenze gegen rückwärts war durch den vorangegangenen Band des „Hand-
buchs", Frankls „Frühmittelalterliche und romanische Baukunst" bestimmt. Ober-
schneidungen waren unvermeidlich. Bei Frankl sind die normannischen Kirchen zu
finden, die E. Gall in seinen ersten, leider bis heute allein gebliebenen Band der
„Gotischen Baukunst" (1925) als Vorstufen aufgenommen hat. C. konnte diese
begründete Zuordnung, die mit der These vom „Werden der Gotik" verknüpft ist,
nur kurz akzeptieren. Auch darin folgt er Gall, daß erst um 1190, also 50 Jahre
nach St. Denis, der Einsatz der gotischen „Frühstufe" in Frankreich zu erkennen
sei. Die „Frühgotik" entfaltet sich für ihn bis 1300. Was im 14. und 15. Jahr-
hundert folgt, ist „Spätgotik". Innerhalb dieser beiden Hauptabschnitte werden die
Sonderarten des Stils in den einzelnen Ländern charakterisiert. Bei solcher Auf-
teilung erscheint die „klassische Stufe": Amiens und der Kölner Domchor unter
„Frühgotik", ja auch noch ein Bau wie die Kathedrale von Beauvais fällt unter
diese Bezeichnung. Daß dann in der „Spätstufe" der „Frühgotik" ein „blühender
Manierismus" sich entwickele (womit denn diese jüngste Qualitas occulta auch dem
13. Jahrhundert eingepflanzt wird), macht die Aufteilung nicht überzeugender.

Für C. gliedert sich der Gang der Entwicklung auf Grund von Gesichtspunk-
ten, die er vornehmlich durch die Begriffe „Mantelstatik" und „Raumstatik" kenn-
zeichnet. Statische Auflockerung des Raummantels, Vereinheitlichung des Raumes
und Versinnlichung der statischen Kräfte in einem ästhetischen und konstruktiven
System ist Aufgabe der Entwicklung. Während sich in Nordfrankreich die Mantel-
statik am intensivsten entfaltet, ist der Süden auf Raumstatik gerichtet. Innerhalb
der nordischen Spätgotik kommt es in Deutschland zur reinsten Raumstatik. „Der
Kampf zwischen Basilika und Halle bedeutet Auseinandersetzung zwischen Mantel-
statik und Raumstatik." Eine eingehendere Erörterung, als sie C. möglich war,
müßte die Fruchtbarkeit dieser Begriffe erweisen. Wenn für die deutsche Gotik
neben der „Reduktion" der französischen Ausdrucksweise die „schon in der Roma-
nik als typisch erkannte formale Primitivität" als ein wesentliches Moment namhaft
gemacht wird, so ist das etwas wenig. Obwohl gewiß die deutsche Architektur ihre
überragende schöpferische Zeit im 11. und 12. Jahrhundert gehabt hat.

C.'s Darstellung hält sich erfreulicherweise von geschmäcklerischer und hyper-
trophischer Diktion frei. Nur mitunter ist Anlaß zum Einhaken. Und da das Hand-
buch auch in dieser Hinsicht eine pädagogische Pflicht zu erfüllen hat, möchte ich
— auf die Gefahr hin, dem Verf. kleinschulmeisterlich entgegenzutreten — für eine
Neuauflage einige Formulierungen zu bedenken geben. Mehrfach stößt man auf
das Wort „ballen". Mag man „die Ballung der Romanik" gelten lassen, befremd-
lich klingt es, von der französischen Nordgotik zu hören, „das architektonische
Geschehen treibe in ständiger Wandlung von Ballung zu Ballung weiter". — Von
der deutschen Hallenkirche heißt es: „Die Streben [der Spätphase] wühlen die
 
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