BESPRECHUNGEN
191
Clementina di San Lazzaro: Gerhart Hauptmann e i suoi
drammi. Editore L. Cappelli, Bologna 1933.
Durch äußere Umstände später als die schöne Arbeit über Stefan George
(Galeati, Imola 1935) von Clementina di San Lazzaro kommt ihr Buch über das
dramatische Werk Gerhart Hauptmanns zur Anzeige in dem Winter, da dieser
Dichter den fünfundsiebzigsten Geburtstag begeht. So darf auch diese Gabe einer
Italienerin gleicherweise aus äußeren wie inneren Gründen lebhafter Aufmerksamkeit
begegnen, denn die feinfühlige und wohldurchdachte Arbeit wie die für deutsche
Dichtung zu wiederholten Malen eingetretene Verfasserin verdienen sie. Das ganze
Buch erscheint knapp (es bezieht noch die damals jüngste Dichtung „Vor Sonnen-
untergang" ein), breitet aber in fünfzehn gedrängten Kapiteln eine Fülle gründ-
licher Beobachtungen aus, die an sich ergiebig sind, überdies aber erhoffen lassen,
Clementina di San Lazzaro möge auch dem späteren dramatischen Schaffen Haupt-
manns ihre Teilnahme erhalten, wie insbesondere ähnliche Vertiefung dem erzähle-
rischen Werk angedeihen lassen, zumal er für das Werden seines Menschentums
durch die umfassende Autobiographie „Das Abenteuer meines Lebens" (Berlin 1937)
unschätzbare Materialien selbst bereitgestellt hat.
Eine Bemerkung im Schlußkapitel des Buchs ist aufschlußreich für die wissen-
schaftliche Haltung der Verfasserin: „Per riconoscere il talento drammatico di
Hauptmann bisogna premettere che la vera azione drammatica non consiste in un
succedersi di avvenimenti esteriori, in un avvilupparsi di sorprese e complicazioni
con relativo scioglimento. Occorre riferirsi infatti al dominio interno dello spirito;
cio che suscita l'interesse ed a cui soltanto puö convenirsi questa condizione di
drammatico e la vita dell' anima intesa in se, e veduta in se e per se: le azioni,
gli avvenimenti esteriori non ne sono che il riflesso, il risultato materiale; 1' uomo
Ii compie nel suo interno ancor prima di eseguirli materialmente" (S. 210/11).
Das Anfangskapitel betrachtet Hauptmanns Stellung im Naturalismus, ein
ausgezeichnetes zweites La critica gibt in engstem Rahmen eine treffliche Charak-
teristik der Vielfalt damaliger Geistigkeit für und wider den neuen Dichter; ein
drittes umreißt den Lebenslauf; alle folgenden wenden sich mit fruchtbaren Betrach-
tungen unmittelbar den Werken zu. Das ist überhaupt nicht der geringste unter
mannigfachen Vorzügen der Lazzaroschen Studien, daß sie den Leser gerade vor
das Hauptmannsche Werk stellen, eben von ihm konkret handeln und nicht darüber
hinwegästhetisieren. Ganz besonders eindringlich handelt die Verfasserin von den
frühen Dramen, vertieft sich mit einem für eine Nichtdeutsche erstaunlichen Ge-
lingen in das Deutsche der Florian-Geyer-Dichtung wie in das Schlesische der natura-
listischen Dramen. Sie gewinnt aus einem einzelnen Werk vielfach einen förderlichen
Wesenszug und prüft, wo und wie etwa abgewandelt er früher oder später in
Hauptmanns Schaffen wiederum aufklingt. Eine ganz besondere Wärme machen die
Darlegungen zu Michael Kramer spürbar. Vielleicht kommt das Hannele nicht ganz
seiner geistesgeschichtlichen wie individualen Bedeutung gemäß zur Darstellung,
wie denn der Berichterstatter naturgemäß manches andere anderwärts in dem Buch
auf seine Weise zu deuten sich vorbehält. Das kann die Freude an solch schönem
Beitrag aus dem Süden zur Erkenntnis deutschen Dichtens nicht im geringsten
mindern.
Über Hauptmanns Lebensgang äußert di San Lazzaro: E la storia di un
grande spirito che ha inteso se stesso non fine ma mezzo, non come unitä staccata
ma come parte, e per cui l'esser superiore ha significato non imposizione di diritti
e di esigenze, ma esplicazione di doveri; col procedere degli anni egli non ha mutati
i suoi punti di vista e le sue tendenze, ma le ha approfondite e nobilitate" (S. 33/34).
191
Clementina di San Lazzaro: Gerhart Hauptmann e i suoi
drammi. Editore L. Cappelli, Bologna 1933.
Durch äußere Umstände später als die schöne Arbeit über Stefan George
(Galeati, Imola 1935) von Clementina di San Lazzaro kommt ihr Buch über das
dramatische Werk Gerhart Hauptmanns zur Anzeige in dem Winter, da dieser
Dichter den fünfundsiebzigsten Geburtstag begeht. So darf auch diese Gabe einer
Italienerin gleicherweise aus äußeren wie inneren Gründen lebhafter Aufmerksamkeit
begegnen, denn die feinfühlige und wohldurchdachte Arbeit wie die für deutsche
Dichtung zu wiederholten Malen eingetretene Verfasserin verdienen sie. Das ganze
Buch erscheint knapp (es bezieht noch die damals jüngste Dichtung „Vor Sonnen-
untergang" ein), breitet aber in fünfzehn gedrängten Kapiteln eine Fülle gründ-
licher Beobachtungen aus, die an sich ergiebig sind, überdies aber erhoffen lassen,
Clementina di San Lazzaro möge auch dem späteren dramatischen Schaffen Haupt-
manns ihre Teilnahme erhalten, wie insbesondere ähnliche Vertiefung dem erzähle-
rischen Werk angedeihen lassen, zumal er für das Werden seines Menschentums
durch die umfassende Autobiographie „Das Abenteuer meines Lebens" (Berlin 1937)
unschätzbare Materialien selbst bereitgestellt hat.
Eine Bemerkung im Schlußkapitel des Buchs ist aufschlußreich für die wissen-
schaftliche Haltung der Verfasserin: „Per riconoscere il talento drammatico di
Hauptmann bisogna premettere che la vera azione drammatica non consiste in un
succedersi di avvenimenti esteriori, in un avvilupparsi di sorprese e complicazioni
con relativo scioglimento. Occorre riferirsi infatti al dominio interno dello spirito;
cio che suscita l'interesse ed a cui soltanto puö convenirsi questa condizione di
drammatico e la vita dell' anima intesa in se, e veduta in se e per se: le azioni,
gli avvenimenti esteriori non ne sono che il riflesso, il risultato materiale; 1' uomo
Ii compie nel suo interno ancor prima di eseguirli materialmente" (S. 210/11).
Das Anfangskapitel betrachtet Hauptmanns Stellung im Naturalismus, ein
ausgezeichnetes zweites La critica gibt in engstem Rahmen eine treffliche Charak-
teristik der Vielfalt damaliger Geistigkeit für und wider den neuen Dichter; ein
drittes umreißt den Lebenslauf; alle folgenden wenden sich mit fruchtbaren Betrach-
tungen unmittelbar den Werken zu. Das ist überhaupt nicht der geringste unter
mannigfachen Vorzügen der Lazzaroschen Studien, daß sie den Leser gerade vor
das Hauptmannsche Werk stellen, eben von ihm konkret handeln und nicht darüber
hinwegästhetisieren. Ganz besonders eindringlich handelt die Verfasserin von den
frühen Dramen, vertieft sich mit einem für eine Nichtdeutsche erstaunlichen Ge-
lingen in das Deutsche der Florian-Geyer-Dichtung wie in das Schlesische der natura-
listischen Dramen. Sie gewinnt aus einem einzelnen Werk vielfach einen förderlichen
Wesenszug und prüft, wo und wie etwa abgewandelt er früher oder später in
Hauptmanns Schaffen wiederum aufklingt. Eine ganz besondere Wärme machen die
Darlegungen zu Michael Kramer spürbar. Vielleicht kommt das Hannele nicht ganz
seiner geistesgeschichtlichen wie individualen Bedeutung gemäß zur Darstellung,
wie denn der Berichterstatter naturgemäß manches andere anderwärts in dem Buch
auf seine Weise zu deuten sich vorbehält. Das kann die Freude an solch schönem
Beitrag aus dem Süden zur Erkenntnis deutschen Dichtens nicht im geringsten
mindern.
Über Hauptmanns Lebensgang äußert di San Lazzaro: E la storia di un
grande spirito che ha inteso se stesso non fine ma mezzo, non come unitä staccata
ma come parte, e per cui l'esser superiore ha significato non imposizione di diritti
e di esigenze, ma esplicazione di doveri; col procedere degli anni egli non ha mutati
i suoi punti di vista e le sue tendenze, ma le ha approfondite e nobilitate" (S. 33/34).