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Korrespondenz. Aus Lissabon.
einmal eine systematische Entdeckungsreise hierher unternommen würde. Einige aphoristische, ober-
flächliche Notizen, während eines meist nur stundenlangen Aufenthalts in Porto, Coimbra und
Batalha gesammelt, werden vielleicht in Diesem oder Jenem den Wunsch erwecken, selbst die ver-
borgenen Schätze Lusitaniens zu heben.
H>orto.
Klosterkirche Eedofeita (Citofaeta). In Betreff dieser Kirche enthält Raczynski's Werk
eine lange archäologische Abhandlung von Hercolano, in welcher derselbe sich nachzuweisen bemühl,
daß sie unmöglich, wie eine über der Thür angebrachte Inschrift besagt, von dem König Theodemir
559 erbaut sein könne. Jene Inschrift ist aber modern, angeblich nach einer älteren kopirt, und
bietet überdies nicht den geringsten Anhalt, daß die jetzt erhaltene Kirche aus jene Zeit zurück-
zuführen sei. Diese ist im Gegentheil ein interessanter, kleiner romanischer Granitbau, ungefähr
aus der ersten Hälfte des XII. Jahrh., um so werthvoller da sie, mit der aus derselben Zeit stammen-
den Kirche S. Pedro de Rates bei Barcellos, das einzige gut erhaltene Denkmal jener Bauweise
in Portugal abgiebt. Die Härte des verwendeten Materials verhinderte eine elegante Ausführung
des Details. Dennoch ist der mit Rundbögen und Würfelkapitälen geschmückte Westeingang von
guter Wirkung. Das Innere, 1767 leider übel restaurirt und als ich es betrat, zum Unglück,
einer Todtenmesse wegen, noch ganz mit schwarzem Tuch ausgeschlagen, besteht aus einem von vier
Pfeilern getragenem Mittelschiff und nur an der nördlichen Seite völlig ausgeführtem Seitenschiff.
Einfache Rundbogen verbinden die Pfeiler. An den letzteren springen Granitsäulen vor, die das
Auge zum Kreuzgewölbe hinaufleiten. Der Chor ganz modernisirt. Klosterhof unbedeutend und
verfallen. Am Südwestende der Kirche ein kleiner Glockenthurm.
S. Francisco. Spätgothischer Hallenbau, ungefähr um die Mitte des XV. Jahrh., aber
ohne konsequent durchgeführtes System oder Verständniß des Stils. Das Innere wird durch eine
Holzbekleidung (tnllla) verunstaltet, die man noch dazu, durch die ganze Kirche hindurch, übergoldet
hat. Diese prahlerische Restauration im Jesuitenstil ist erstaunlich geschmacklos und verkehrt. Das
Auge irrt, vom Reflex geblendet, ohne einen Ruhepunkt zu finden, unbefriedigt umher. In der
Kapelle der heil. 3 Könige neben dem Chor, interessantes Grabmal des Brandonius Pereira v. I.
1528. Ein von Löwen getragener Marmorfarkophag steht in einer aus Granit gearbeiteten Nische,
in deren Skulpturen man schon die ersten Regungen der Renaissance erwachen sieht. Die Säulen
haben noch unbehülfliche Würfelkapitäle. Dagegen enthält der Rundbogen, neben maurischen
Zackenornamenten, einen Fries von Stierschädeln und Arabesken, in denen klassische Reminiscenzen
mit Glück verarbeitet sind. Den Schlußstein des Bogens schmückt die Büste des Verstorbenen. —
Die Taufkapelle vom I. 1500 enthält eine gute Taufe Christi auf Holz aus dem XV. Jahrh. —
Casa de Misericordia besitzt eine Kreuzigung Christi, ein vortreffliches deutsches Bild aus
Holz. Neben dem Heiland links (vom Beschauer) Maria, rechts Johannes, beide schwebend. Unter
diesen drei Personen die Legenden: Ions wiserivorckis, lou8 vite, Ion« pietntis. Das Kreuz steht
in einem Brunnen, der mit Blut gefüllt ist. Vor diesem der Donator des Bildes und seine sechs
Kinder, nebst vielen Rathsherren und Frauen. Raczynski sagt, das Bild gleiche einem Holbein.
Ich würde geneigt sein, es für einen solchen erklären, wenn ich wüßte, daß Don Manuel (der Do-
nator) Gelegenheit gehabt haben könne, sich und seine Kinder von jenem Meister malen zu lassen.
Außerdem ist mir namentlich im Johannes, eine für Holbein fast zu große Vollendung der Form und
glühende Wärme des Ausdrucks aufgefallen. Jedenfalls ist das Bild nebstdem „Lebensbrunnen" des
Königs Ferdinand und diesem im Werthe ähnlich, das größte Kunstdenkmal, das Portugal besitzt.
Auf dem Gewände der Maria befindet sich eine zweite Legende, nmter cksi u. s. w., die sich bei der
Höhe des Bildes und seiner schlechten Beleuchtung nicht entziffern ließ. Vor zwanzig Jahren will
Jemand auch einen Künstlernamen auf dem unteren Theil gelesen haben. Mir war es unmöglich,
etwas einer Schrift Aehnliches zu entdecken, indem der ganze untere Theil nicht nur mit dicken,
widerlichen Uebermalungen verdorben, sondern auch so nachgedunkelt ist, daß man leicht kaum
erkenntliche Gräser und Blumen für Schrift nehmen kann. Eine genaue Untersuchung und Reini-
gung des Bildes wäre außerordentlich wichtig. —
Die übrigen Kirchen und Profanbauten Porto's datiren, mit Ausnahme geringer Ruinen, meist
aus später Zeit und erreichen in ihrer Geschmacksverirrung die übel berüchtigte römische Schule der
Borromini. Der kürzlich erbaute Ausstellungspalast, in herrlicher Lage die Stadt und den Fluß
beherrschend, enthält bei praktischer Anlage recht anmuthiges Detail in der Ausschmückung einzelner
Säle. Er ist das Werk eines talentvollen englischen Architekten. Dieser ganze Hügel mit seiner
von einem preußischen Kunstgärtner angelegten Terrasse bildet den schönsten landschaftlichen Punkt
nicht nur in Porto, sondern vielleicht in ganz Portugal. Fournier.
Verantwortlicher Redaktenr: Ernst Arthur Seemann in Leipzig. — Druck von C. Grumbach in Leipzig.
Korrespondenz. Aus Lissabon.
einmal eine systematische Entdeckungsreise hierher unternommen würde. Einige aphoristische, ober-
flächliche Notizen, während eines meist nur stundenlangen Aufenthalts in Porto, Coimbra und
Batalha gesammelt, werden vielleicht in Diesem oder Jenem den Wunsch erwecken, selbst die ver-
borgenen Schätze Lusitaniens zu heben.
H>orto.
Klosterkirche Eedofeita (Citofaeta). In Betreff dieser Kirche enthält Raczynski's Werk
eine lange archäologische Abhandlung von Hercolano, in welcher derselbe sich nachzuweisen bemühl,
daß sie unmöglich, wie eine über der Thür angebrachte Inschrift besagt, von dem König Theodemir
559 erbaut sein könne. Jene Inschrift ist aber modern, angeblich nach einer älteren kopirt, und
bietet überdies nicht den geringsten Anhalt, daß die jetzt erhaltene Kirche aus jene Zeit zurück-
zuführen sei. Diese ist im Gegentheil ein interessanter, kleiner romanischer Granitbau, ungefähr
aus der ersten Hälfte des XII. Jahrh., um so werthvoller da sie, mit der aus derselben Zeit stammen-
den Kirche S. Pedro de Rates bei Barcellos, das einzige gut erhaltene Denkmal jener Bauweise
in Portugal abgiebt. Die Härte des verwendeten Materials verhinderte eine elegante Ausführung
des Details. Dennoch ist der mit Rundbögen und Würfelkapitälen geschmückte Westeingang von
guter Wirkung. Das Innere, 1767 leider übel restaurirt und als ich es betrat, zum Unglück,
einer Todtenmesse wegen, noch ganz mit schwarzem Tuch ausgeschlagen, besteht aus einem von vier
Pfeilern getragenem Mittelschiff und nur an der nördlichen Seite völlig ausgeführtem Seitenschiff.
Einfache Rundbogen verbinden die Pfeiler. An den letzteren springen Granitsäulen vor, die das
Auge zum Kreuzgewölbe hinaufleiten. Der Chor ganz modernisirt. Klosterhof unbedeutend und
verfallen. Am Südwestende der Kirche ein kleiner Glockenthurm.
S. Francisco. Spätgothischer Hallenbau, ungefähr um die Mitte des XV. Jahrh., aber
ohne konsequent durchgeführtes System oder Verständniß des Stils. Das Innere wird durch eine
Holzbekleidung (tnllla) verunstaltet, die man noch dazu, durch die ganze Kirche hindurch, übergoldet
hat. Diese prahlerische Restauration im Jesuitenstil ist erstaunlich geschmacklos und verkehrt. Das
Auge irrt, vom Reflex geblendet, ohne einen Ruhepunkt zu finden, unbefriedigt umher. In der
Kapelle der heil. 3 Könige neben dem Chor, interessantes Grabmal des Brandonius Pereira v. I.
1528. Ein von Löwen getragener Marmorfarkophag steht in einer aus Granit gearbeiteten Nische,
in deren Skulpturen man schon die ersten Regungen der Renaissance erwachen sieht. Die Säulen
haben noch unbehülfliche Würfelkapitäle. Dagegen enthält der Rundbogen, neben maurischen
Zackenornamenten, einen Fries von Stierschädeln und Arabesken, in denen klassische Reminiscenzen
mit Glück verarbeitet sind. Den Schlußstein des Bogens schmückt die Büste des Verstorbenen. —
Die Taufkapelle vom I. 1500 enthält eine gute Taufe Christi auf Holz aus dem XV. Jahrh. —
Casa de Misericordia besitzt eine Kreuzigung Christi, ein vortreffliches deutsches Bild aus
Holz. Neben dem Heiland links (vom Beschauer) Maria, rechts Johannes, beide schwebend. Unter
diesen drei Personen die Legenden: Ions wiserivorckis, lou8 vite, Ion« pietntis. Das Kreuz steht
in einem Brunnen, der mit Blut gefüllt ist. Vor diesem der Donator des Bildes und seine sechs
Kinder, nebst vielen Rathsherren und Frauen. Raczynski sagt, das Bild gleiche einem Holbein.
Ich würde geneigt sein, es für einen solchen erklären, wenn ich wüßte, daß Don Manuel (der Do-
nator) Gelegenheit gehabt haben könne, sich und seine Kinder von jenem Meister malen zu lassen.
Außerdem ist mir namentlich im Johannes, eine für Holbein fast zu große Vollendung der Form und
glühende Wärme des Ausdrucks aufgefallen. Jedenfalls ist das Bild nebstdem „Lebensbrunnen" des
Königs Ferdinand und diesem im Werthe ähnlich, das größte Kunstdenkmal, das Portugal besitzt.
Auf dem Gewände der Maria befindet sich eine zweite Legende, nmter cksi u. s. w., die sich bei der
Höhe des Bildes und seiner schlechten Beleuchtung nicht entziffern ließ. Vor zwanzig Jahren will
Jemand auch einen Künstlernamen auf dem unteren Theil gelesen haben. Mir war es unmöglich,
etwas einer Schrift Aehnliches zu entdecken, indem der ganze untere Theil nicht nur mit dicken,
widerlichen Uebermalungen verdorben, sondern auch so nachgedunkelt ist, daß man leicht kaum
erkenntliche Gräser und Blumen für Schrift nehmen kann. Eine genaue Untersuchung und Reini-
gung des Bildes wäre außerordentlich wichtig. —
Die übrigen Kirchen und Profanbauten Porto's datiren, mit Ausnahme geringer Ruinen, meist
aus später Zeit und erreichen in ihrer Geschmacksverirrung die übel berüchtigte römische Schule der
Borromini. Der kürzlich erbaute Ausstellungspalast, in herrlicher Lage die Stadt und den Fluß
beherrschend, enthält bei praktischer Anlage recht anmuthiges Detail in der Ausschmückung einzelner
Säle. Er ist das Werk eines talentvollen englischen Architekten. Dieser ganze Hügel mit seiner
von einem preußischen Kunstgärtner angelegten Terrasse bildet den schönsten landschaftlichen Punkt
nicht nur in Porto, sondern vielleicht in ganz Portugal. Fournier.
Verantwortlicher Redaktenr: Ernst Arthur Seemann in Leipzig. — Druck von C. Grumbach in Leipzig.