281
1889. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.
282
Buchbindermeister F. Wunder in
Wien (leider zu früh verstorben) war es,
welcher den Anstofs zur Wiederauf-
nahme mit einigen eigenen Arbeiten
dieser Art gab, und zwar schon in den
60er Jahren. Seitdem hat diese Kunst
gewaltige Fortschritte gemacht, und
mit Recht wird sie nicht allein für
Möbel, sondern für Füllungen, Buch-
einbände, Kästchen und andere Be-
hältnisse verwendet. Was die Aus-
nutzung der Technik und die sinn-
gemäfse Ornamentirung, deren Ver-
theilung und Eintheilung anlangt,
haben wir von unseren Altvorderen
noch so Manches zu lernen, dagegen
sind wir in Bezug auf Sauberkeit und
Peinlichkeit der Arbeit, Schärfe des
Schnittes und der Punzirung ihnen
nicht unwesentlich überlegen.
Nicht zum Wenigsten hat dieses
seinen Grund in der Behandlung des
Arbeitsstückes. Während man näm-
lich früher den Gegenstand fertig mit
Leder überzog und dann erst orna-
mentirte, machen wir dies heute um-
gekehrt: Wir verzieren das Leder und
überziehen damit den Gegenstand.
Damit kommen wir auf die Tech-
nik selbst zu sprechen, wie sie heute
ausgeübt wird. Als Werkzeuge sind
erforderlich und genügen vollkom-
men: 1. ein kleines Messer mit gerader
Klinge, das lediglich an der Spitze
etwas schräg geschliffen ist, während
die langen Seiten ungeschliffen blei-
ben; 2. ein Modellireisen, welches in
der Form einem mittleren Modellir-
holz durchaus nachgebildet ist; beide
Enden sind ganz wenig geschweift,
die eine Seite ganz flach, die andere
abgerundet gehalten. Beide Enden
haben dieselbe Form, nur die Gröfse
ist verschieden; 3. ein Perlpunzen,
wie er von den Goldarbeitern be-
nutzt wird.
Schliefslich ist ein kleiner hölzer-
ner Ciselirhammer oder ein metallener
Punzenhammer erforderlich zum Ein-
schlagen der Punzen des Grundes.
Das zu verwendende Leder mufs
Rinds- sogen. Vachetteleder sein und
Fig.
TfclSise
im
m
-£
m
darf nach dem Gerben kein Fett er-
halten haben, es mufs völlig trocken
sein; ebenso eignet sich das genarbte
Leder weniger, als ganz glattes.
Die Zeichnung wird vermittelst
Röthel- oder Graphitpapier aufgepaust
und werden alle Konturen nachgeritzt.
Das Einritzen hat nur den Zweck,
den Kontur festzuhalten, es soll also
nie tiefer geritzt werden, als etwa bis
zur Hälfte der Lederstärke. Das Messer
wird im Allgemeinen senkrecht, weder
nach rechts noch nach links geneigt
gehalten, und zwar schneidet man
nicht nach sich zu, sondern von sich
ab. Der Daumen der linken Hand
dient dem Messerrücken zur Unter-
stützung, so also, dafs nicht allein die
rechte Hand schneidet und allein das
Messer führt, sondern die linke mit
zur Leitung dient, wie etwa der Mal-
stock bei der Führung des Pinsels.
Damit Bogen und kürzere Drehungen
leichter zu bewältigen sind, erhält
das Messer einen gleichmäfsig dicken,
rundgedrehtenHolzgriff, dersich leicht
zwischen den Fingern drehen läfst.
Nachdem alle Konturen eingeritzt
sind, wird das Leder mäfsig gefeuch-
tet, d. h. mit einem recht nassen
Schwämme wird die Lederoberfläche
überwaschen. Der richtige Feuchtig-
keitsgrad trägt wesentlich zu einer
guten Arbeit bei; zu trocken ver-
arbeitet sich der Stoff schwer, zu
nafs bleibt das Leder nicht in der
gewünschten Form, sondern verzieht
sich fortwährend.
Alle Schnitte werden nun mit dem
dünneren Ende des Modellireisens
nachgefahren, damit dieselben kräftig
auseinandergehen und wir haben dann
schon die erste Art des Lederritzens
vollbracht, wie dasselbe um 1400 ge-
übt wurde. Es ist diese für Stuhlsitze,
Kästchen und Scheiden jeder Gattung
sehr wohl zu verwenden, doch erhält
das Ornament mehr Bedeutung, wenn
der Grund gekörnt, d. h. gepunzt
wird. Jede einzelne, durch den Pun-
zen erzielte Perle soll halbrund und
scharf sich vom Grunde abheben; die
1889. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.
282
Buchbindermeister F. Wunder in
Wien (leider zu früh verstorben) war es,
welcher den Anstofs zur Wiederauf-
nahme mit einigen eigenen Arbeiten
dieser Art gab, und zwar schon in den
60er Jahren. Seitdem hat diese Kunst
gewaltige Fortschritte gemacht, und
mit Recht wird sie nicht allein für
Möbel, sondern für Füllungen, Buch-
einbände, Kästchen und andere Be-
hältnisse verwendet. Was die Aus-
nutzung der Technik und die sinn-
gemäfse Ornamentirung, deren Ver-
theilung und Eintheilung anlangt,
haben wir von unseren Altvorderen
noch so Manches zu lernen, dagegen
sind wir in Bezug auf Sauberkeit und
Peinlichkeit der Arbeit, Schärfe des
Schnittes und der Punzirung ihnen
nicht unwesentlich überlegen.
Nicht zum Wenigsten hat dieses
seinen Grund in der Behandlung des
Arbeitsstückes. Während man näm-
lich früher den Gegenstand fertig mit
Leder überzog und dann erst orna-
mentirte, machen wir dies heute um-
gekehrt: Wir verzieren das Leder und
überziehen damit den Gegenstand.
Damit kommen wir auf die Tech-
nik selbst zu sprechen, wie sie heute
ausgeübt wird. Als Werkzeuge sind
erforderlich und genügen vollkom-
men: 1. ein kleines Messer mit gerader
Klinge, das lediglich an der Spitze
etwas schräg geschliffen ist, während
die langen Seiten ungeschliffen blei-
ben; 2. ein Modellireisen, welches in
der Form einem mittleren Modellir-
holz durchaus nachgebildet ist; beide
Enden sind ganz wenig geschweift,
die eine Seite ganz flach, die andere
abgerundet gehalten. Beide Enden
haben dieselbe Form, nur die Gröfse
ist verschieden; 3. ein Perlpunzen,
wie er von den Goldarbeitern be-
nutzt wird.
Schliefslich ist ein kleiner hölzer-
ner Ciselirhammer oder ein metallener
Punzenhammer erforderlich zum Ein-
schlagen der Punzen des Grundes.
Das zu verwendende Leder mufs
Rinds- sogen. Vachetteleder sein und
Fig.
TfclSise
im
m
-£
m
darf nach dem Gerben kein Fett er-
halten haben, es mufs völlig trocken
sein; ebenso eignet sich das genarbte
Leder weniger, als ganz glattes.
Die Zeichnung wird vermittelst
Röthel- oder Graphitpapier aufgepaust
und werden alle Konturen nachgeritzt.
Das Einritzen hat nur den Zweck,
den Kontur festzuhalten, es soll also
nie tiefer geritzt werden, als etwa bis
zur Hälfte der Lederstärke. Das Messer
wird im Allgemeinen senkrecht, weder
nach rechts noch nach links geneigt
gehalten, und zwar schneidet man
nicht nach sich zu, sondern von sich
ab. Der Daumen der linken Hand
dient dem Messerrücken zur Unter-
stützung, so also, dafs nicht allein die
rechte Hand schneidet und allein das
Messer führt, sondern die linke mit
zur Leitung dient, wie etwa der Mal-
stock bei der Führung des Pinsels.
Damit Bogen und kürzere Drehungen
leichter zu bewältigen sind, erhält
das Messer einen gleichmäfsig dicken,
rundgedrehtenHolzgriff, dersich leicht
zwischen den Fingern drehen läfst.
Nachdem alle Konturen eingeritzt
sind, wird das Leder mäfsig gefeuch-
tet, d. h. mit einem recht nassen
Schwämme wird die Lederoberfläche
überwaschen. Der richtige Feuchtig-
keitsgrad trägt wesentlich zu einer
guten Arbeit bei; zu trocken ver-
arbeitet sich der Stoff schwer, zu
nafs bleibt das Leder nicht in der
gewünschten Form, sondern verzieht
sich fortwährend.
Alle Schnitte werden nun mit dem
dünneren Ende des Modellireisens
nachgefahren, damit dieselben kräftig
auseinandergehen und wir haben dann
schon die erste Art des Lederritzens
vollbracht, wie dasselbe um 1400 ge-
übt wurde. Es ist diese für Stuhlsitze,
Kästchen und Scheiden jeder Gattung
sehr wohl zu verwenden, doch erhält
das Ornament mehr Bedeutung, wenn
der Grund gekörnt, d. h. gepunzt
wird. Jede einzelne, durch den Pun-
zen erzielte Perle soll halbrund und
scharf sich vom Grunde abheben; die