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Zeitschrift für christliche Kunst — 4.1891

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https://doi.org/10.11588/diglit.3823#0229
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339

1891.

.ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 11.

340

sich vor dem gothischen, weil er eine Ver-
schmelzung germanischen Empfindens mit den
Ueberlieferungen der Antike darstelle (Sp. 380).
Hier ist zu fragen: was denn im romanischen
Stil beruht auf germanischem Empfinden, was
auf Ueberlieferung der Antike? sind letzteres
Vorzüge oder Mängel? Dann weiter: ist das
germanische Empfinden im gothischen Stil nicht
auch vorhanden? sind die im romanischen Stil
festgehaltenen Ueberlieferungen der Antike im
gothischen auch noch lebendig? und welche
von ihnen, die guten oder die schlimmen? Bei
den Ueberlieferungen der Antike müssen wir
dann wieder zwischen den griechischen und
römischen unterscheiden.

Die griechische Baukunst, der Tempelbau,
zeichnet sich aus durch eine wundervolle, tief
durchdachte Harmonie der Verhältnisse, durch
eine äufserst feine Berechnung der ästhetischen
Wirkung jedes einzelnen Baugliedes. Aber die
so glücklich ersonnene Gestalt des einzelnen
Gliedes, die so ruhig wirkenden und doch so
fesselnden gegenseitigen Verhältnisse sind nun
auch ein für allemal fest bestimmt. Und jedes
Werk besteht nur aus einer Zusammen-
setzung dieser fertigen Bestandteile,
in gröfserer oder geringerer Zahl, in gröfserem
oder kleinerem Mafsstabe. Eine aus dem jedes-
maligen Gesammtplan sich ergebende indivi-
duelle Gestaltung der Einzelglieder war den
Griechen unbekannt.

Die Römer, weniger feinfühlend aber prak-
tischer als die Griechen, verbanden die griechi-
schen Säulenordnungen mit dem Gewölbebau.
Das war eine Gewaltthat. Ihr Ergebnifs kann
darum den ästhetischen Sinn nicht so sehr be-
friedigen, wirkt aber durch seine Macht und
seinen Prunk. Die Architektur der Säulenord-
nungen ist dem konstruktiven Kern wie ein
fremder Mantel umgehängt, hat mit derselben
an und für sich nichts zu schaffen; es fehlt die
innere Einheit des Baues, die Uebereinstimmung
von Wesen und äufserer Form. Die Gestalt der
einzelnen Säule wurde beibehalten, sogar wo
sie der neuen Stellung nicht mehr entsprach.
War z. B. unter einem wagerecht lastenden
Gebälk die Schwellung am untern Theile des
Säulenschaftes ein äufserst geistreich angewand-
tes Mittel, die Aufgabe der tragenden Säule,
den Druck der auf ihren Kopf gelegten Last
zu veranschaulichen, so wird sie eine wider-
sinnige Form wo die Bewegung eines Bogens

von dem Säulenhaupte aus in die Höhe steigt.
Die Verwendung der Säule in Verbindung mit
Bögen vernichtete überdies das harmonische
Verhältnifs in der Stellung der Säulen zu einan-
der. Noch roher war es, wenn man dem Säulen-
kopf ein quadratisches Gebälkstück auflegte,
und darauf erst den Kämpfer für die Bögen
(und zwar nur in der Stärke des Säulenschaftes)
stellte. An künstlerischem Sinn stehen die
Römerbauten den griechischen nach; aber einen
Vorzug haben sie im Gewölbebau und in der
Ausbildung der Innenarchitektur.

In letzterer Hinsicht sehen wir einen weitern
Fortschritt in der christlichen Basilika. Sie steht
mit der griechischen Kunst in Verbindung, in-
sofern sie sich der Säulenstellungen bediente,
wie es die heidnisch - römische Kunst gethan
hatte; sie erreicht den griechischen Tempel nicht
an Feinheit der Bauglieder, übertrifft ihn aber
durch die ganz neuen in ihr zur Erscheinung
kommenden Gedanken des Ghristenthums.

Ich übergehe die byzantinische Bauweise.

Die romanische knüpft an die Kunst der
Basiliken an, und steht durch sie mit der römi-
schen und griechischen Kunst in Verbindung;
noch fester ergriff sie die römische Ueberliefe-
rung durch die Aufnahme des Gewölbebaues.
Aber das germanische Empfinden im Verein mit
den gänzlich veränderten Verhältnissen bildete
die alten Formen um und führte zu grofser Ver-
schiedenheit vom Urbilde. Ob zum Schaden?
Ich denke: nein. Die Wölbekunst wurde bei-
behalten, sogar vervollkommnet, die oben ge-
rügten Mängel der römischen Architektur begann
man zu überwinden. Die Säule konnte das
griechische Verhältnifs nicht mehr festhalten,
aber man gab ihr ein neues Verhältnifs,
welches nicht ein für allemal feststand, sondern
sich für jede Säule besonders aus ihrer Stellung
zum Ganzen ergab. So knüpfte man wieder das
Band mit dem griechischen Genius der Ordnung
und Harmonie an. Es war aber nicht mehr die
starre Zahlen Ordnung, sondern eine freiere,
würdigere geometrische Ordnung, in der, dem
christlichen Geist der Gesellschaft entsprechend,
jedes Theilchen als ein berechtigtes und ver-
pflichtetes Glied des Ganzen erscheint und dem-
gemäfs Stellung und Form erhält. So bewahrt
also die romanische Kunst den besten Vorzug
der griechischen, ja hebt ihn noch höher. Sie
ahmt nicht ohne Verständnifs nach, wie die alte
römische Kunst es bezüglich der Säulenord-
 
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