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Zeitschrift für christliche Kunst — 4.1891

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https://doi.org/10.11588/diglit.3823#0230

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341

1891.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 11.

342

nungen gethan, sondern sie erfafst den Geist
und arbeitet in diesem Geiste weiter, in der
Weise, wie die gänzlich umgestalteten Zeitverhält-
nisse, Lebensanschauungen u. s. w. es verlangen.

Allerdings ist innerhalb des romanischen
Stils das Ziel nicht völlig erreicht worden. Die
vollkommene Durchdringung der alten
Ueberlieferungen mit dem germanischen
Empfinden gelang erst derGothik. Hier
ist die alte Wölbekunst bis zur höchsten Voll-
endung gebracht, hier herrscht eine streng gesetz-
mäfsige Ordnung und Harmonie bis zu dem
Grade, dafs auch dem schmucklosesten Kirch-
lein durch die fein abgewogenen Verhältnisse
ein Stempel der Schönheit aufgedrückt werden
kann, der durch keinen Aufwand an kostbarem
Material oder an Zierrath aufgewogen wird, —
bis zu dem Grade, dafs auch die kleinsten Bau-
theilchen, die Gesimse, die Mafswerke, die Be-
krönungsblumen, aus demselben Grundmafse be-
stimmt werden, wie der ganze Bau. Aber diese
Gesetzmäfsigkeit ist frei, indem der Meister
selbst Grund und Mafs seiner Ordnung feststellt,
und folglich eine endlose Mannigfaltigkeit von
Ordnungen möglich ist. — Ich müfste noch das
freie Ornament erwähnen. Der romanische
Stil knüpfte auch hier an das Hergebrachte an,
aber der germanische Geist führte bald zu neuen
Bildungen, die Gothik wirkte in demselben Sinne
fort und wandte sich entschieden den Formen
der heimischen Natur zu, die sie ebenso frei
als auch wieder streng im Rahmen der architek-
tonischen Ordnung benutzte. — Sehen Sie, ver-
ehrter Freimd, so verhält es sich mit der Ver-
schmelzung antiker Ueberlieferungen und germa-
nischen Geistes. Die Ueberliererung freilich, dafs
das griechische Tempelhaus sich behaglich über
die Erde hinstreckt, mufste man aufgeben, da
sie dem christlichen nach oben gerichteten Sinn
widersprach; die römische Art, Struktur und
Architektur als zwei einander fremde Dinge zu
behandeln, konnte man nicht festhalten, weil sie
ebensowohl der christlichen Anschauungsweise
von der Zusammengehörigkeit und den gegen-
seitigen Beziehungen der Menschen als auch
dem architektonischen Gefühl unserer Vorfahren
entgegengesetzt war, und so wurde Architektur
und Struktur ein Ganzes, in welchem Sache
und Form sich gegenseitig bedingten.

Ich bin etwas weit in diese Erörterung hinein-
gerathen; indefs wird soviel wenigstens daraus
sich ergeben, dafs man mit Unrecht der Gothik

gegenüber einen Vorzug des romanischen Stils
in der angeblichen Verschmelzung germanischen
Empfindens und antiker Ueberlieferungen findet.
Richtiger würde man sagen: der romanische
Stil hat die guten Ueberlieferungen festgehalten,
aber auch die Mängel noch nicht abgestreift,
in der Gothik hat der germanische Geist die
letzteren ganz überwunden und die ersteren zur
Vollendung gebracht.

4. „Es drängt der Zug unserer durch das
Schematische der Gerüststile übersättigten Zeit
zu der ruhigen Monumentalität der Massenstile"
(S. 380). Die Gerüststile (gothisch) sollen also
schematisch und nicht ruhig monumental, die
Massenstile (romanisch) ruhig monumental aber
nicht schematisch sein. Ist das richtig? Was
ist ein Schema? Eine Vorlage, ein Muster, wel-
ches so wie es ist den neuen Erzeugnissen zu
Grunde gelegt wird. Es ist also zwischen Mo-
numentalität und Schematisch nicht einmal ein
eigentlicher Gegensatz; ferner ist nicht einzusehen,
warum ein „Gerüststil" (bei dem die Massen
in Glieder aufgelöst sind) mehr schematisch
sein soll als ein Massenstil; und endlich stellt
diese Bezeichnung das thatsächliche Verhältnifs
geradezu auf den Kopf. Schematisch ist der
romanische Stil viel mehr als der gothische,
insofern als er an ein gewisses Schema (Qua-
drate im Hauptschiff, doppelt soviel kleinere im
Nebenschiff, — im Aufrifs Hauptarkade für das
Mittelschiff, zwei kleinere Nebenschiffsarkaden
umschliefsend) ziemlich fest gebunden ist, wäh-
rend der gothische Baumeister in jedem einzelnen
Falle sich frei ein Grundverhältnifs aufstellen
kann, aus dem er alle Mafse entwickelt. Unsere
neueren gothischen Kirchen sind allerdings viel-
fach „schematisch" entworfen oder wie man zu
sagen pflegt, über einen Kamm geschoren. Das
liegt aber zum grofsen Theil daran, dafs all diese
Kirchen fast zu gleicher Zeit entstanden sind,
überall dieselben Verhältnisse und Bedürfnisse
vorlagen, auch die Gröfse ungefähr die gleiche
sein mufste, die Geldmittel meist gleicherweise
knapp bemessen waren und endlich viele Dutzend
Kirchen in wenigen Jahren von ein und dem-
selben Baumeister geplant wurden. Da ist das
„Schematische" freilich kaum zu vermeiden. Wie
würde es da erst aussehen, wenn ein und der-
selbe Baumeister unter denselben Verhältnissen .
einige Dutzend rein romanischer Kirchen zu
bauen hätte? (Forts, folgt.)

Essen. J. Prill,
 
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