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Zeitschrift für christliche Kunst — 4.1891

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https://doi.org/10.11588/diglit.3823#0204

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Abhandlungen.

Spätgothisches Holzrelief als Modell
für einen metallischen Buchdeckel.

Mit Lichtdruck (Tafel XII).
n süddeutschem Privatbesitz
befindet sich das hier in
Lichtdruck wiedergegebene,
aus Einem Stück Birnbaum-
holz geschnitzte Relief, wel-
ches 38 cm hoch, 261/a cm
breit ist und dessen am weitesten ausladende
Theile ungefähr 4 cm aus der Fläche aufsteigen.
Spiralförmig gewundene Wulste gliedern die
Tafel der Länge nach in einen breiteren Mittel-
theil und zwei schmale Seitenstreifen. Von
jenem bildet den Kernpunkt die Kreuzigungs-
gruppe, deren drei Figuren nach einem vortreff-
lichen Vorbild mit besonderem Geschick behan-
delt sind. Das rechts wie links weithin flat-
ternde Lendentuch erscheint als ein höchst ge-
lungener Wurf zur Ausfüllung des Hintergrundes.
Der in Form eines Kreisabschnittes vorkragende,
reich durchbrochene Baldachin überholt an Aus-
ladung noch das Knie des Heilandes. Dieselbe
Höhe erreicht der mehr abschliefsend gestaltete
Baldachin, welcher die Verkündigungsgruppe be-
krönt, die vor dem Betpult knieende von dem
knieenden Engel begrüfste hl. Jungfrau. Nur
mäfsig erhebt sich der als ganz flacher Esels-
rücken behandelte Baldachin, der den von zwei
knieenden Engeln gehaltenen Christuskopf zeigt.
Diese drei übereinander geordneten Gruppen
sind ebenfalls durch Spiralwulste voneinander
geschieden. Neben der unteren und oberen
Gruppe erscheinen, die vier Ecken bildend, die
sitzenden Figürchen der vier Evangelisten, eben-
falls unter mäfsig vortretenden Baldachinen,
während weit ausladende, mehr aus dem Acht-
eck konstruirte Baldachine die zwei fast voll-
rund geschnitzten Standfiguren überschatten,
welche zwischen jenen auf zierlichen, ebenfalls
dem Achteck entnommenen Konsölchen überein-
andergestellt, die Mittelgruppe flankiren. Einen
hl. Bischof und Abt stellen die beiden oberen,
den hl. Jakobus Major und einen eine Flasche
in der Linken tragenden Heiligen die beiden
unteren Statuettchen dar. Ein etwas schärfer

profüirter Wulst bildet die Einfassung des Gan-
zen. — Ganz geringe Ueberreste von Farbe,
sowie von der Säure, durch welche sie entfernt
worden ist, lassen keinen Zweifel daran, dafs
es ursprünglich polychromirt war, was ja auch
in der spätgothischen Periode, aus welcher diese
Tafel stammt, noch ganz allgemein in Uebung
war bei den aus weicherem Holz geschnitzten
Figuren, nachdem im XV. Jahrh. allmählich und
in beschränktem Mafse der Gebrauch Eingang
gefunden hatte, aus hartem Holz, namentlich aus
Buchsbaum, seltener aus Eichenholz gefertigte
Figuren ohne Farbe zu lassen. — Am wichtig-
sten erscheint die Frage, welchem Zwecke die
vorliegende Tafel gedient haben möge, befrie-
digend nur die Antwort, dafs sie ursprünglich
die Bestimmung gehabt habe, von einem Gold-
schmiede behufs Anfertigung eines reichen
Deckels für ein liturgisches Buch (vielleicht ein
Evangeliar), als Modell benutzt zu werden.
Schon die Gestaltung und Anordnung der Tafel
weist daraufhin, welche zunächst und fast nur an
spätgothische Metall-Buchdeckel erinnert, z. B.
an denjenigen des Ada-Kodex in Trier. Aber
auch die Rücksichten, welche in ihr auf die
Metalltechnik, speziell auf das Treib- und Ver-
schneide-Verfahren genommen, sind nicht zu
verkennen. Die wulstigen Einfassungsborten
entsprechen durchaus dieser Technik, nicht min-
der die Baldachin-Konstruktionen, die in ihren
Ranken und noch mehr in ihrem ungemein frei
geworfenen Blattwerk direkt an die dekorative
Kunst des Goldschmiedes erinnern. Gerade am
Ausgange des Mittelalters war ihm das gewun-
dene Ranken- und Astwerk besonders geläufig,
fast noch mehr das aus der Metalltafel ausge-
sägte, verschnittene und phantastisch geworfene
Blattwerk. Auch die Figuren erscheinen für die
Hammerarbeit vorbereitet, nicht für das Gufs-
verfahren, und legen in ihrer stellenweise etwas
ängstlichen Gewandbehandlung fast den Gedan-
ken nahe, als ob gar ein auf den Meifsel ein-
geübter Goldschmied dieses Modell entworfen
habe, welches sowohl in der Anordnung des Gan-
zen wie in der Durchbildung der Details, den Ge-
sichtsausdruck nicht ausgenommen, eine überaus
geschickte Hand verräth. Schnütgen.
 
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