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Zeitschrift für christliche Kunst — 4.1891

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https://doi.org/10.11588/diglit.3823#0133

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191

1891.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 6.

192

bar;

Die bildliche Darstellung

ckl betont in seiner freien Bearbei-
tung der »Legends of the Madonna
von Mrs. Jameson«, die Darstellung
der Verkündigung sei überaus dank-
denn sie biete „die zwei schönsten Ge-

stalten, welche die menschliche Hand darzu-
stellen vermag: den gerade aus dem Paradiese
kommenden, geflügelten Geist und das nicht
weniger reine und sogar noch gesegnetere Weib
— das ausgewählte Gefäfs der Erlösung und
die Verpersönlichung aller weiblichen Liebens-
würdigkeit, VortrefHichkeit, Weisheit und Rein-
heit". Wollte Jemand dagegen erinnern, in der
Gestalt Christi liege ein noch höheres Ideal, so
bieten wenigstens jene Verkündigungsbilder, in
denen der himmlische Vater aus der Mitte seiner
Engel auf die beiden genannten Personen herab-
schaut, die höchsten Aufgaben.

In diesem Aufsatz soll nun nicht eine mög-
lichst vollständige, chronologisch oder nach
Schulen geordnete Aufzählung aller Darstellun-
gen des in Rede stehenden Geheimnisses ver-
sucht werden. Schon der zu Gebote stehende
Raum gebietet Einschränkung. Ueberdies will
ja diese Zeitschrift das praktische Interesse be-
tont wissen. Demnach wird es darauf ankommen,
an der Hand des überreichen Schatzes bildlicher
Darstellung der Menschwerdung des Sohnes
Gottes zu zeigen, in wie verschiedener Art die
alten Künstler diesen geheiligten Stoff bildeten,
und wie er heute malerisch oder plastisch zu
geben sei.

Mehrere Ouellen sind für die künstlerische
Behandlung der Verkündigung mafsgebend ge-
wesen. Die Urquelle ist der Bericht des Evan-
gelisten Lukas I, 26—38. Als Quelle zweiten
Ranges ist das Malerbuch vom Berge Athos zu
betrachten. Es sagt: „Male ein Haus. Die
Heilige steht vor einem Sessel und trägt das
Haupt ein wenig geneigt. In der einen Hand
hält sie Seide, welche auf eine Spindel auf-
gewickelt ist, die Rechte hat sie ausgestreckt
gegen den Engel, der Fürst Gabriel steht
vor ihr, mit der Rechten segnet er sie, mit der
Linken hält er einen Speer. Ueber dem Hause
ist der Himmel, aus ihm steigt der hl. Geist
in einem Strahl auf das Haupt der Heiligsten
hernieder." Freilich ist dies Malerbuch wohl
nur eine ziemlich spät verfafste Sammlung von
Darstellungen der hl. Geschichte. In der eben

der Verkündigung Maria.

angeführten Stelle fufst es aber auf alten Ueber-
lieferungen, besonders auf dem apokryphen
Evangelium des Jakobus und dem apo-
kryphen Buch „Von der Geburt Maria und
der Kindheit des Erlösers". In beiden ist
eine doppelte Szene der Verkündigung ange-
nommen: eine erste, worin Maria vom Engel
gegrüfst wird, während sie an einem Brunnen
steht; eine zweite, worin sie die Botschaft über
die Menschwerdung erhält, während sie im Hause
sitzend Purpur für den Vorhang des Tempels
bereitet.

Was das Malerbuch für das Morgenland lei-
stete, das thaten in einer Hinsicht wenigstens
des hl. Bonaventura »Betrachtungen über
das Leben Christi«. Auch sie sind erst spät,
nämlich in der Mitte des XIII. Jahrh. entstan-
den, bewegen sich jedoch so sehr im Flusse der
kirchlichen Ueberlieferung, dafs sie für das
Abendland als Spiegelbild der plastischen Auf-
fassung der früheren und späteren Jahrhunderte
gelten dürfen. Der hl. Bonaventura stellt sich
die geschichtliche Entwickelung der Verkündi-
digung so vor, dafs sie den Stoff zu folgenden
Bildern liefert:

1. Gott Vater sitzt auf dem himmlischen
Thron und ertheilt einem knieenden Engel
den Auftrag der Verkündigung.

2. Der Erzengel steht im Hause von Naza-
reth grüfsend vor der Jungfrau, die sich fürchtet.

3. Gabriel bespricht mit Maria die Art der
Vollziehung des Geheimnisses. Beide stehen.

4. Maria kniet hin und spricht demüthig
gebeugt: „Siehe, ich bin eine Magd des Herrn."

5. Gott Sohn kniet vor dem Vater und er-
klärt sich bereit, das Erlösungswerk in diesem
Augenblick zu beginnen.

6. Der Engel kniet vor der Auserwählten,
die Gottesmutter geworden ist und Gott von
Herzen für diese Gnade dankt.

Neben den Betrachtungen des grofsen Schü-
lers des hl. Franziskus verdienen die liturgischen
Schauspiele des Mittelalters hohe Beachtung als
Quellen unserer Ikonographie. Für die Dar-
stellung der Verkündigung ist in dieser Hinsicht
ein im XVI. Jahrh. geschriebenes, in seinen
wesentlichen Bestandtheilen jedoch älteres Spiel
wichtig, welches am 10. Tage vor Weihnachten
in der Kathedrale zu Tournai aufgeführt ward.
Gegen Ende der Matutin traten zwei Jünglinge
 
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