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1891. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.
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waren. Reste solcher Bemalung und Vergol-
dungen habe ich in schwachen Spuren noch an
dem nördlichen Querschiffsportal des Frankfurter
Domes, am Westportal der obengenannten Abtei-
kirche in Marienstatt und an anderen Orten ge-
sehen. Auch die Portale der Elisabethenkirche
in Marburg waren ehemals gemalt und vergoldet.
Es wäre in hohem Grade wünschenswerth,
wenn sich die mittelalterliche Ausführungsweise
der glatt geputzten Mauerflächen in Verbindung
mit Eckquadern auch bei unseren neueren Kir-
chenbauten wieder Bahn bräche. Es gibt kaum
eine schönere Folie für die Steinarchitektur. Der
Putz darf sogar in noch feuchtem Zustande mit
verdünnter Kalkmilch leicht abgeweifst werden.
Aber man nehme nur keinen Schwarz- oder
Graukalk, noch weniger den beliebten Spritz-
bewurf und am allerwenigsten Zement. Auch
lasse man die Architektur- oder Eckquader nicht
fein säuberlich abkanten und einen oder mehr
Centimeter vor dem Putze vorstehen, wie man
das neuerdings namentlich an Bahnwärterhäus-
chen, aber auch an wichtigeren Bauten nicht
selten sieht: der Putz mufs mit dem Quader-
werk bündig sein, d. h. in einer Ebene liegen.
Ob ich es auch heute schon wagen darf,
dem Wunsche Ausdruck zu geben, dafs auch die
äufsere Bemalung der Kirchen, sowie die poly-
chromen Ausmalungen und Vergoldungen der
Portale wieder neubelebt werden möchten? Für
die innere Ausschmückung ist die Farbe gottlob
wieder in ihr volles Recht eingesetzt; äufseren
Bemalungen hingegen steht unsere Zeit noch
recht zaghaft gegenüber. Vielleicht wegen der
geringeren Dauerhaftigkeit der dem Wetter aus-
gesetzten Malereien? Das sollte uns aber nicht
abhalten: malen wir immerhin, und wenn die
Unbilden der Witterung diese Malereien zerstört
haben werden, so mögen unsere Söhne oder
Enkel dieselben — noch prächtiger erneuern.
Uebrigens scheint die in letzter Zeit vielfach in
Anwendung gekommene Keim'sche Malweise auf
Keim'schem Putzgrund gröfsere Gewähr für
die Erhaltung der dem Wetter ausgesetzten Ma-
lereien zu geben.
Es sei mir nach dieser Abschweifung ge-
stattet, noch einmal auf das Bauprojekt zurück-
zukommen, dem diese Abhandlung gilt: Ich
habe zu wiederholten Malen und selbst von
kunstverständiger Seite die Bemerkung gehört,
die Architektur desselben sei zu reich für die
hohe und exponirte Lage der Kapelle. Ich
glaube hinreichend gezeigt zu haben, wie sich
Alles auf das Einfachste aus den Bedürfnissen
und lokalen Verhältnissen entwickelt hat. Dafs
die Zusammengruppirung so verschiedenartiger
Bautheile dem Bauwerke eine reichere und
mannigfaltigere Erscheinung gibt, ist selbstver-
ständlich, namentlich wenn jeder Gegenstand
nach seiner Art und seinem Bedürfhifs ausge-
bildet ist. Aufser an dem Thurmaufsatz aber,
der die Kapelle von allen Seiten beherrscht
und derselben weithin das charakteristische Ge-
präge gibt, ferner aufser an dem Hauptportale
und allenfalls noch aufser dem Erker an der
Giebelfassade des Wohnhauses, ist von eigent-
lichem Schmuck nichts angebracht, was sich
nicht aus der Konstruktion von selbst ergibt.
Und soll man endlich an einem Baudenkmale,
welches jährlich von Tausend und aber Tausend
Wallfahrern besucht wird, welches die Begeiste-
rung und Dankbarkeit der Stadt Bingen und
ihrer Umgegend der Verehrung ihres Schutz-
patrones errichtet, in einer so schönen, von der
Natur mit allen Vorzügen ausgestatteten Land-
schaft gelegen, nicht etwas mehr an Schmuck und
Ausstattung anwenden, als das praktische Bedürf-
nis allein erheischt? Das wäre doch eine gar zu
nüchterne Auffassung. Bei der geringsten Dorf-
kirche sollte es nicht an dem einen oder ande-
ren Schmuckgegenstande fehlen, der sich etwas
über das blofse Bedürfnifs hinaus erhebt und
dem Beschauer Interesse abgewinnt.
Die hohe und exponirte Lage hat aber mit
der Architektur nichts zu thun; es würde durch-
aus verkehrt sein, aus diesem Grunde schwerere
und massivere Bauformen zu wählen. Das Bau-
werk soll auch von unten gesehen, leicht und
zierlich, als Kapelle wirken. Und was das Ver-
wittern der Architekturtheile in hoher Lage be-
trifft, so ist die letztere eher Schutz gegen die
Verwitterung als Beförderin derselben. Wo der
Wind den Sandstein fortwährend umstreicht,
das Wasser, den Schnee, die Blätter fortbläst,
wird der Stein — ein gutes Material voraus-
gesetzt — weniger leicht' verwittern, als in
niederer windstiller Lage. Davon geben un-
sere mittelalterlichen Thürme Zeugnifs, welche
in den oberen, unaufhörlich den Winden aus-
gesetzten Architekturtheilen zumeist weniger
Verwitterungen, als in den unteren zeigen.
Frankfurt a. M. M. MeckeJ.
1891. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.
190
waren. Reste solcher Bemalung und Vergol-
dungen habe ich in schwachen Spuren noch an
dem nördlichen Querschiffsportal des Frankfurter
Domes, am Westportal der obengenannten Abtei-
kirche in Marienstatt und an anderen Orten ge-
sehen. Auch die Portale der Elisabethenkirche
in Marburg waren ehemals gemalt und vergoldet.
Es wäre in hohem Grade wünschenswerth,
wenn sich die mittelalterliche Ausführungsweise
der glatt geputzten Mauerflächen in Verbindung
mit Eckquadern auch bei unseren neueren Kir-
chenbauten wieder Bahn bräche. Es gibt kaum
eine schönere Folie für die Steinarchitektur. Der
Putz darf sogar in noch feuchtem Zustande mit
verdünnter Kalkmilch leicht abgeweifst werden.
Aber man nehme nur keinen Schwarz- oder
Graukalk, noch weniger den beliebten Spritz-
bewurf und am allerwenigsten Zement. Auch
lasse man die Architektur- oder Eckquader nicht
fein säuberlich abkanten und einen oder mehr
Centimeter vor dem Putze vorstehen, wie man
das neuerdings namentlich an Bahnwärterhäus-
chen, aber auch an wichtigeren Bauten nicht
selten sieht: der Putz mufs mit dem Quader-
werk bündig sein, d. h. in einer Ebene liegen.
Ob ich es auch heute schon wagen darf,
dem Wunsche Ausdruck zu geben, dafs auch die
äufsere Bemalung der Kirchen, sowie die poly-
chromen Ausmalungen und Vergoldungen der
Portale wieder neubelebt werden möchten? Für
die innere Ausschmückung ist die Farbe gottlob
wieder in ihr volles Recht eingesetzt; äufseren
Bemalungen hingegen steht unsere Zeit noch
recht zaghaft gegenüber. Vielleicht wegen der
geringeren Dauerhaftigkeit der dem Wetter aus-
gesetzten Malereien? Das sollte uns aber nicht
abhalten: malen wir immerhin, und wenn die
Unbilden der Witterung diese Malereien zerstört
haben werden, so mögen unsere Söhne oder
Enkel dieselben — noch prächtiger erneuern.
Uebrigens scheint die in letzter Zeit vielfach in
Anwendung gekommene Keim'sche Malweise auf
Keim'schem Putzgrund gröfsere Gewähr für
die Erhaltung der dem Wetter ausgesetzten Ma-
lereien zu geben.
Es sei mir nach dieser Abschweifung ge-
stattet, noch einmal auf das Bauprojekt zurück-
zukommen, dem diese Abhandlung gilt: Ich
habe zu wiederholten Malen und selbst von
kunstverständiger Seite die Bemerkung gehört,
die Architektur desselben sei zu reich für die
hohe und exponirte Lage der Kapelle. Ich
glaube hinreichend gezeigt zu haben, wie sich
Alles auf das Einfachste aus den Bedürfnissen
und lokalen Verhältnissen entwickelt hat. Dafs
die Zusammengruppirung so verschiedenartiger
Bautheile dem Bauwerke eine reichere und
mannigfaltigere Erscheinung gibt, ist selbstver-
ständlich, namentlich wenn jeder Gegenstand
nach seiner Art und seinem Bedürfhifs ausge-
bildet ist. Aufser an dem Thurmaufsatz aber,
der die Kapelle von allen Seiten beherrscht
und derselben weithin das charakteristische Ge-
präge gibt, ferner aufser an dem Hauptportale
und allenfalls noch aufser dem Erker an der
Giebelfassade des Wohnhauses, ist von eigent-
lichem Schmuck nichts angebracht, was sich
nicht aus der Konstruktion von selbst ergibt.
Und soll man endlich an einem Baudenkmale,
welches jährlich von Tausend und aber Tausend
Wallfahrern besucht wird, welches die Begeiste-
rung und Dankbarkeit der Stadt Bingen und
ihrer Umgegend der Verehrung ihres Schutz-
patrones errichtet, in einer so schönen, von der
Natur mit allen Vorzügen ausgestatteten Land-
schaft gelegen, nicht etwas mehr an Schmuck und
Ausstattung anwenden, als das praktische Bedürf-
nis allein erheischt? Das wäre doch eine gar zu
nüchterne Auffassung. Bei der geringsten Dorf-
kirche sollte es nicht an dem einen oder ande-
ren Schmuckgegenstande fehlen, der sich etwas
über das blofse Bedürfnifs hinaus erhebt und
dem Beschauer Interesse abgewinnt.
Die hohe und exponirte Lage hat aber mit
der Architektur nichts zu thun; es würde durch-
aus verkehrt sein, aus diesem Grunde schwerere
und massivere Bauformen zu wählen. Das Bau-
werk soll auch von unten gesehen, leicht und
zierlich, als Kapelle wirken. Und was das Ver-
wittern der Architekturtheile in hoher Lage be-
trifft, so ist die letztere eher Schutz gegen die
Verwitterung als Beförderin derselben. Wo der
Wind den Sandstein fortwährend umstreicht,
das Wasser, den Schnee, die Blätter fortbläst,
wird der Stein — ein gutes Material voraus-
gesetzt — weniger leicht' verwittern, als in
niederer windstiller Lage. Davon geben un-
sere mittelalterlichen Thürme Zeugnifs, welche
in den oberen, unaufhörlich den Winden aus-
gesetzten Architekturtheilen zumeist weniger
Verwitterungen, als in den unteren zeigen.
Frankfurt a. M. M. MeckeJ.