Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 6.1893

DOI issue:
Heft 6
DOI article:
Destrée, Joseph: Ein Altarschrein der Brüsseler Schule
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4305#0103
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
173

1893. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

174

Ein Altarschrein der Brüsseler Schule.

Mit Abbildung.

er Altarschrein, mit welchem wir
heute den Leser bekannt machen
wollen, befand sich leihweise im
„Museo civico" zu Turin. Dort sah
ihn der verstorbene Konservator der König].
Bibliothek in Brüssel, Herr Charles Ruelens,
welcher ihn als ein flämisches Werk von beson-
derem Interesse unserer Aufmerksamkeit empfahl.
Wir setzten uns unverzüglich mit dem Mar-
quis d'Azeglio, dem Organisator und Direktor
des besagten Museums in Verbindung. Dieser
hervorragende Gelehrte zeigte sich auch mit
gröfster Zuvorkommenheit bereit, unsere Nach-
forschungen zu unterstützen; nur erklärte er un-
umwunden, mit allen Mitteln verhindern zu
wollen, dafs ein Kunstwerk, welches seiner
schönen Sammlung einverleibt sei, Italien wieder
verlasse. Aber die Ausführung dieser Absicht
hinderte ein unerwarteter Tod. Wenige Zeit
später überliefs Graf B . . ., der Besitzer des
Altarschreines, denselben an Herrn Handelaer.
Dieser wufste um die von Herrn Vermeersch
und dem Verfasser dieses Artikels gerhanen
Schritte und beeilte sich, den Altarschrein dem
Brüsseler Museum zum Kauf anzubieten, wo er
seit Kurzem einen Ehrenplatz einnimmt.

Der Altarschrein hat folgende Verhältnisse:
Höhe des Mittelfeldes 2,70 m, Höhe der Seiten-
felder 2,15 m, Gesammtbreite 2,50 m. Leider
fehlen die ursprünglichen Flügel, deren Angeln
noch vorhanden sind. Ueber jede Abtheilung
spannt sich ein Kielbogen. Als Bekrönung diente
eine Statue, deren Bedeutung sich aus der allein
erhaltenen Konsole nicht folgern läfst. Die Ran-
ken, welche aus dem inneren Rundstab der Bogen
hervorwachsen, bilden ein feines spitzenähn-
liches Ornament. Von schlanken Fialen überragte
Baldachine überdachen die Reliefs und geben dem
Ganzen ein ungemein leichtes Aussehen. Diese
eleganten Motive erinnern an die architektonische
Verzierung des Schreins von St. Leonhard zu
Leau, bei welchem jedoch die Fialen in durch-
brochenen Knäufen enden. Die ganze Anord-
nung des Schreins nähert sich derjenigen des
Denkmals der Heiligen Crispin und Crispinian in
der Kirche der hl. Waudru in Herenthals. Seine
glücklichen Verhältnisse machen ihn zu einem
Muster dieser Art. Unten am Schrein ist die De-
vise „Droit et Avant" sechsmal wiederholt.

Das erste Fach links enthält zwei Gruppen.
Das eine zeigt uns Jesus am Tische Simons
des Aussätzigen, und wie Maria Magdalena im
Begriff ist, die Füfse des Heilandes mit Narden-
Oel zu salben. Im Vordergrunde tadelt Judas
Ischariot mit lebhaften Geberden die Verschwen-
dung der Sünderin. Jesus entgegnet ihm, indem
er gleichsam zur Bekräftigung seiner, die Büfserin
rechtfertigendenWorte die Hand erhebt: „Warum
fügt ihr Leid diesem Weibe zu? Sie hat ein
gutes Werk an mir gethan; denn Arme habt ihr
allezeit, mich aber habt ihr nicht allezeit bei euch.
Denn dafs sie diese Salbe über meinen Leib aus-
gofs, dafs hat sie zu meinem Begräbnifs gethan.
Wahrlich, ich sage euch, in der ganzen Welt, wo
immer man dieses Evangelium predigen wird,
da wird man auch ihr nachrühmen, was sie an
mir gethan hat." (Matth. XXVI, 10—13.)

Das zweite Bild zeigt, wie Lazarus aus seinem
Grab Jesus die Hände entgegenstreckt, und der
Herr die Worte spricht: „Lazarus komm heraus".
Magdalena kniet mit gefaltenen Händen daneben
in einer Stellung, welche ganz Dankbarkeit
gegen den göttlichen Meister ausdrückt. Ein
Jude steht ihr gegenüber, weiter nach hinten
erscheinen der heilige Johannes und Martha,
die Schwester des Lazarus. Aufser diesen sehen
der Szene noch drei andere Personen zu, von
denen eine ein langes Gewand und eine breit-
randige, an einen Kardinalshut erinnernde Kopf-
bedeckung trägt. Vermuthlich hat der Künstler
in ihr einen Priesterfürsten dargestellt.

Diese beiden Gruppen sind weder durch einen
Strebepfeiler, noch durch ein Säulchen getrennt,
eine keineswegs zufällige, vielmehr in dem Feld
rechts sich wiederholende Anordnung, welche
aber verhindert, dafs jedes Bild zu seiner vollen
Geltung kommt.

Das Mittelfeld ist dem grofsen Drama der
Kreuzigung geweiht. Zahlreiche Einzelheiten
sind in ihm vereinigt. Im Vordergründe kniet
baarhäuptig, in voller Rüstung, ein junger Edel-
mann, der in seiner Linken einen leider nicht
mehr vorhandenen Gegenstand hält, und dessen
Rechte gänzlich fehlt. Die Rüstung dieses Ritters,
in welchem wir den Stifter des Schreines er-
blicken dürfen, war weifs mit goldenen Ver-
zierungen. Das Silber ist aber oxydirt und leicht
glänzend schwarz geworden. Den Junker zeichnet


 
Annotationen