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Zeitschrift für christliche Kunst — 7.1894

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Prill, Joseph: Das Zehnthaus zu Karden an der Mosel
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https://doi.org/10.11588/diglit.3824#0195
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303

1S0J. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 10.

30d

Das Zehnthaus zu Karden an der Mosel.

n Profangebäuden aus der Zeit des
romanischen Stils sind wir nicht
reich. Um so mehr müssen die
wenigen, welche durch die Stürme
der Zeit hindurch bis auf unsere Tage gerettet
wurden, unser Interesse wachrufen, namentlich
wenn sie nicht blos einen geschichtlichen, son-
dern auch einen künstlerischen Werth besitzen.
Ein solches Bauwerk, und zwar eines der ältesten
und am besten erhaltenen, ist das „Zehnthaus"
zu Karden, einem kleinen Orte an der Mosel,
etwa 2'/2 Stunden unterhalb Kochern. „Zehnt-
haus" nennt es der
Volksmund von
Alters her, und da-
mit scheint die Be-
stimmung des Ge-
bäudes richtig an-
gegeben zu sein.
Seiner baulichen
Erscheinung nach
weist es auf den Be-
ginn des XIII. Jahrh.
hin, geschichtliche
Nachrichten über
dasselbefehlen gänz-
lich; indefs zeigt die
Anlage des Hauses,
dafs es keine Pri-
vatwohnung war, zur

Norden

Mit 13 Abbildungen.

war ohne Zweifel durch eine dünne Wand in zwei
Räume geschieden, deren Kamine sich theilweise
noch erhalten haben; der gröfsere östliche steht
mit dem untern Thurmgeschofs in offener Ver-
bindung und aus ihm führt an der Moselseite
eine kleine in der Mauer liegende Treppe zum
obern Stockwerke, das einen geräumigen Saal
bildet. Aus dem Saale führt eine Thür in das
Thurmgemach, welches durch eine in dem
Winkel zwischen Thurm und Haus empor-
steigende äufsere Treppe, die jetzt freilich
nicht mehr vorhanden ist, deren Anlage sich

aber noch deutlich
erkennen läfst, von
aufsen zugänglich
war. Diente viel-
leicht das Thurm-
innere als Warte-
raum, der Saal aber
zur Entgegennahme
des Zehnten und
der üblichen Be-
wirthung derZehnt-
pflichtigen,während
der untere gröfsere
Raum die Küche,
und das kleinere
Gelafs ein Zimmer
für die Kloster-
brüder war?

Erhebung der Abgaben für das in Karden in
damaliger Zeit gelegene Kloster zum hl. Castor
sich aber wohl eignete, und so dürfte der Name
„Zehnthaus" mehr als ein blofser Name sein;
wir dürfen ihn als Zeugnifs einer wohlbegrün-
deten Ueber'lieferung betrachten.

Das anmuthige Gebäude, welches wir hier
im Bilde wiedergeben, wird von der Mosel nur
durch die Strafse und die dicht vorbeiführende
Eisenbahn getrennt. Es besteht aus einem läng-
lichen Rechteck, dem sich nach Norden ein
thurmähnlicher, im Grundrifs fast quadratischer
Anbau vorlegt. Der letztere ist wenig höher als
das Hauptgebäude und wie dieses mit einem
Satteldach gedeckt, dessen Richtung jedoch
senkrecht zu der des Hauses verläuft.

Unter dem Hauptgebäude zieht sich ein
Keller hin, welcher durch einen Gang mit dem
Moselufer in Verbindung steht. Das Erdgeschofs

Das Gebäude ist, der Art der Zeit ent-
sprechend, in Bruchsteinmauerwerk aufgeführt,
alle architektonischen Theile aber, die Fenster-
einfassungen, Gesimse, Auskragungen der Ka-
mine, die inneren Kaminanlagen, bestehen aus
sorgfältig bearbeiteten Sandstein Werkstücken.
Einen besonderen Schmuck weist das Bauwerk
nicht auf; nur das, was von selbst gegeben
war, ist kunstgemäfs ausgebildet: die Fenster
mit ihrem Brüstungssims, das Hauptgesims, die
im Aeufseren vorgekragten Kamine; aber gerade
in dieser ungesuchten Darbietung edler Formen
an den von selbst gegebenen Bautheilen ver-
räth sich mehr Geist und künstlerischer Sinn
als in der Anbringung eines, wenn auch noch
so kostbaren, willkürlichen und unbegründeten
Schmuckes, und darum wirken derartige Bau-
werke in ihrer freundlichen Bescheidenheit auf
den Kunstverständigen so fesselnd.
 
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