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Zeitschrift für christliche Kunst — 28.1915

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Escherich, Mela: Studien zur seeschwäbischen Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.4335#0050

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ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. Nr. 2/3

vor Pilatus, vor Herodes spielen in Tempelvorbauten, in die das Volk hinein-
drängt. Auf der „Geißelung" haben die Lanzen, den Goldgrund über den Köpfen
belebend, eine ähnliche Aufgabe wie auf Lochners Dombild die Schwerter und
Fahnen. Auf der „Grablegung" steht der Sarg schrägüber in einem sechseckigen,
mit Spitzgiebeln gezierten Häuschen. Die Gestalten von Joseph von Arimathia
und Nikodemus sind durch die Pfosten des Häuschens überschnitten. Die Seh rag-
st e 1 1 u n g des Sarges und die Überschneidung der Figuren
bleibt als wichtiges Kennzeichen der seeschwäbischen Kunst zu beachten. —Wir
haben die Diagonalstellung bereits bei dem Meister der Utrechter Tafeln betont.
Die niederrheinischen Künstler stellen Betten, Krippen, Sarkophage, Särge,
Lauben, meist gerade, mit der Breitfront gegen den Beschauer hin. Wird zur
Abwechslung einmal wie bei dem Sarge auf der „Grablegung" des Altärchens,
ehemals Sammlung Weber, eine Schrägstellung (und sogar mit kleinen
Überschneidungen!) versucht, so hat sie doch etwas mehr Zufälliges — man
beachte, wie sinnlos sich die Gestalt des Auferstandenen dem Rhythmus der
Diagonale entzieht! — niemals, wie in der seeschwäbischen Kunst, dogmatischen
Charakter.

Grablegung Christi10. Flügel 73,5X43,5 cm. Kaiser-Friedrich-
Museum, Berlin. Man erinnere sich des Kölner Schemas: der Sarg in Breit-
front; zu Häupten, zu Füßen und vorn zur Seite je ein Mann mit dem Hinein-
heben des Leichnams beschäftigt. Hinter dem Sarge die zuweilen hoch sich auf-
bauende Gruppe der Frauen mit dem hl. Johannes. Und nun denke man sich,
der Maler führe uns etwas nach links oder die gesamte Gruppe befinde sich auf
einer Drehbühne, die nach rechts geschraubt würde und — wir haben das see-
schwäbische Schema vor uns.

Der Sarg steht in scharfer Schrägstellung, von rechts oben nach links unten.
Der Leichnam Christi beherrscht dadurch ebenso das Bild, wie die liegende
Madonna die Utrechter Tafel. Von links oben eine durchschneidende Gegenlinie
bildend nahen Johannes und die Frauen. Das ganze Bild ist auf ein Gerüst von
Linien gebaut, in dem die einzelnen Figuren gleichsam hangen. Die letzte der
Frauen, die sich verhüllten Antlitzes weinend abwendet, erinnert an die Utrechter
Madonna und die Madonna der Schnütgen-Kreuzigung.

Auferstehung. Zum vorigen gehörig. 73,5X43,5 cm. Kaiser-Friedrich-
Museum, Berlin. Dieselbe sausende Linie des Sarges, welcher der eben dem Sarg
entsteigende stürmisch vorgeneigte Christus zu folgen scheint. Man vergleiche
kölnische Auferstehungen dagegen (Ciarenaltar), die in ihrer Frontalkomposition
immer eine ruhige, gelassene Stimmung festhalten, während hier alles auf leb-
hafte Bewegung zielt.

Die Utrechter und die Berliner Tafeln, sowie die des Münchener Passionszyklus,
der durch seine Herkunft aus Bregenz auf Seeschwaben lokalisiert werden kann,
bilden eine Gruppe, in der übereinstimmend ein bestimmtes Linienschema
herrscht, dessen Grundnote ich als Diagonalrhythmus bezeichnen
möchte. Dieser ist es aber nun, den wir bei dem bedeutendsten Meister See-
schwabens wiederfinden — bei Konrad Witz. Sein frühestes Werk, der

1U W. B o d e , Neue Erwerbungen für das Kaiser-Friedrich-Museum. Amtl. Ber. XXXI
225, 1910.
 
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