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Zeitschrift für christliche Kunst — 33.1920

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Schmeddinghoff, Anton: Ein bisher unbekanntes Bild von dem "Meister des Marienlebens" in Bocholt
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https://doi.org/10.11588/diglit.4307#0035
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26

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. Nr. 1/2

EIN BISHER UNBEKANNTES BILD

VON DEM

„MEISTER DES MARIENLEBENS"

IN BOCHOLT.

(Mit 1 Abbildung.)

Die St .-Georgs-Kirche in Bocholt i. W. ist im Besitze eines farben-
prächtigen mittelalterlichen Gemäldes (127 X 155 cm), das der Beach-
tung weiterer Kreise wert erscheint. Es ist eine Kreuzigungsgruppe —
Christus mit Maria und Johannes und zwei Bischöfen —, die sich von einem
reichen landschaftlichen Hintergrunde wirkungsvoll abhebt. Unter dem leuch-
tend weißen, nach oben allmählich in ein helles Blau übergehenden Himmel
dehnt sich weithin eine reiche Phantasielandschaft aus. In der Ferne erhebt
sich zwischen blauen Höhenzügen das Bild einer häuserreichen Stadt mit Mauer-
türmen und gotischen Kirchen, darüber hinaus tauchen die Türme einer zweiten
Stadt auf, und die Bergkuppen am Horizonte sind noch wieder mit einer Burg
gekrönt. Von der Stadt, die teilweise durch grünbraune Hügel mit schlanken,
von dem hellen Himmel sich scharf abhebenden Frühlingsbäumen verdeckt
wird, führt ein Weg durch hügeliges Gelände in Windungen zu dem ebenen
Vordergrunde, und hier in der Ebene gleichsam am Wege erhebt sich das
Kreuz mit einem tief ergreifenden Christusbilde. Der edel geformte Körper
des Heilandes hängt mit krampfhaft zusammengezogenen Händen und ge-
dehnten Armen am Kreuzesholze, die Füße übereinandergenagelt. Das von
spärlichem Bart umrahmte, auf der Stirn mit Blut überronnene, bleiche Ant-
litz mit den eingefallenen Wangen ist im Tode geneigt und in seiner edlen
Schönheit von tiefer Wirkung. Während winzig kleine Engelchen das Blut
aus den Wunden der Hände in goldenen Kelchen auffangen, ist der dunkel-
rote Blutstrom aus der Seitenwunde über die Brust und unter dem schön
gelegten Lendentuche her über den Oberschenkel geflossen. Zur Rechten des
Kreuzes steht — ein Bild des tiefsten Schmerzes und zugleich der höchsten
Erregung —die Mutter; das trauernde Antlitz ist leise zur rechten Seite ge-
neigt, die Augen, aus denen die Tränen perlen, sind fast geschlossen und die
Hände gesenkt und über dem zusammengerafften weiten, weißen Mantel er-
gebungsvoll leicht ineinander geschlungen. Wundervoll heben sich von dem
dunkelblauen Untergewande das weiße Kopftuch und der weiße Mantel ab,
der Kopf und Schultern und den ganzen Unterkörper in schönem Faltenwurf
einhüllt und nur ganz unten wieder den blauen Ton des Kleides hervor-
treten läßt.

Auf der anderen Seite des Kreuzes schaut Johannes mit leicht geneigtem,
schmerzdurchfurchtem Antlitz tief traurig den Beschauer an. Der edle, etwas
knochige Kopf ist von dunkelblondem Haar umgeben, das in leichten Locken
zur Schulter hinabfällt. Mit der Rechten hebt er den stumpfrotvioletten Mantel
empor, als wollte er damit sein Gesicht bedecken oder seine Tränen trocknen,
während die Linke ein Buch trägt. Noch steckt der Zeigefinger in dem
geschlossenen Buche, als habe der Jünger gerade eine tief ergreifende Stelle
 
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