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DIE ENTWICKLUNG DER ARCHÄOLOGISCHEN
WESTGOTENFORSCHUNG
SPANIEN UND PORTUGAL
Die Erforschung der frühmittelalterlichen Grabfelder hat in ganz Europa, von Aus-
nahmen abgesehen, erst im vergangenen Jahrhundert begonnen, auf der Pyrenäenhalbinsel
aber besonders spät eingesetzt. Es ist auffallend, daß hier lange keine bedeutenderen
Grabfunde zur Kenntnis der Forscher kamen, welche sich mit frühmittelalterlichen Studien
beschäftigten. Da die spanische Wissenschaft seit langem der Westgotenzeit ihre be-
sondere Aufmerksamkeit zugewandt hat, sollte man annehmen, daß es im Fall der zu-
fälligen Entdeckung größerer Friedhöfe auch hier zu planmäßiger Forschung gekommen
wäre. In diesem Zusammenhänge ist vielleicht der Hinweis nicht ohne Bedeutung, daß
anscheinend auch heute südlich der Pyrenäen frühmittelalterliche Friedhöfe viel seltener
zum Vorschein kommen, als etwa in Frankreich oder in Süddeutschland. Es liegt nahe,
die Erklärung dafür in der besonderen geschichtlichen Entwicklung der Halbinsel zu
suchen. Während die Siedlungen der Alamannen und Franken in der Regel von heute
noch bestehenden Dörfern fortgesetzt werden, haben die starken kriegerischen Erschüt-
terungen bis in die Zeit der völligen Rückeroberung Spaniens einen viel stärkeren Wechsel
der Wohnplätze mit sich gebracht. Die Möglichkeit von Entdeckungen ist aber erfahrungs-
gemäß dort am größten, wo Friedhöfe in der Nähe heutiger Siedlungen liegen, in deren
Bereich am häufigsten größere Erdbewegungen notwendig werden.
Wenn auch westgotische Gräber lange unbekannt blieben, so erweckte dafür die Auf-
findung des Schatzes von Guarrazarx) um so regeres Interesse an dem Kunstgewerbe
der Westgotenzeit (1858). Guarrazar überstrahlt alles, was bis heute an frühmittelalter-
lichen Funden aus West- und Mitteleuropa bekannt geworden ist; auch ein verhältnis-
mäßig reicher Grabhort, wie der des Frankenkönigs Childerich (f 481), bleibt weit hinter
dem westgotischen Schatz zurück, der sich aus königlichen und privaten Schenkungen
an eine der Kirchen von Toledo zusammensetzt und vor allem die berühmten Weihe-
kronen enthält * 2). Die Entdeckung von Guarrazar gab den Anstoß, nach anderen west-
gotischen Schmucksachen Umschau zu halten. Florencio de Janer stellte 1875 solche
Stücke aus den Beständen des Madrider Nationalmuseums zusammen3). Die Adlerfibel
’) Die Literatur bis 1925 verzeichnet H. Leclerq unter ‘Guarrazar’ im Dictionnaire d’Archeologie Chretienne 6, 2,1842 ff.
Nachzutragen: P. de Madrazo, Orfebreria de la epoca visigoda. Monumentos Arquitectönicos de Espana 9, 1879.
2) Unter anderem sollen auch goldene, steingeschmückte Gürtel gefunden, aber gleich anderen Stücken verschleudert
worden sein. J. Amador de los Rios, El arte latino-bizantino en Espana y las coronas visigodas de Guarrazar. Madrid 1861.
S. 124. Monumentos Arquitectönicos de Espana 9, 1879, 9 (P. de Madrazo). — Wären diese Funde erhalten, so ließe sich
einmal am Beispiel eines einzelnen Stückes der Tracht der ganze Abstand zwischen höfischem und volkstümlichem Schmuck
der Westgotenzeit aufzeigen. Die Gräber, die in dieser Untersuchung zu behandeln sind, bergen nur die einfache Ausrüstung
des gemeinen Mannes, wie sie das landesübliche Handwerk herzustellen vermochte. Guarrazar dagegen veranschaulicht
den ganzen Luxus der gleichzeitigen verfeinerten Hofkunst, deren Rang und Herkunft nur ein Vergleich mit den besten
italienischen und oströmischen Arbeiten der Zeit richtig einzuschätzen gestattet. Dem Bereich dieser Hofkunst sich zu
nähern hat die Erörterung der westgotischen Grabfunde nur selten Gelegenheit.
3) De las alhajas visigodas del Museo Arqueolögico Nacional. Museo Espanol de Antiguedades 6, 1875, 137—178.

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