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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 6.1912-1914

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4. Heft
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Boenisch, Hermann: Die Artillerie-Handschrift des Valentin von Sebisch: (Breslau 1601)
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https://doi.org/10.11588/diglit.39948#0139
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4. HEFT

HERM. BOENISCH, DIE ARTILLERIE-HANDSCHRIFT DES VALENTIN v. SEBISCH

119

flexionis, altissiraus punctus (!), quem pila ascensu
suo assequitur) in Bogenform vereinigen. — Er
macht den Versuch, eine Schufstafel (canonem
seu tabulam ad corrigenda mortaria utilem) auf-
zustellen, wie dies in Italien Capo Bianco schon
1598 in seiner “Carona e Palma miiitare di
Artiglieria” für Kanonen getan hat.
Für uns ist von waffengeschichtlichem In-
teresse die sehr hübsche farbige Zeichnung
unter der zweiten propositio. Sie stellt einen
feuernden Mörser dar, der am Bodenstück noch
die gerundete Stofsplatte trägt, wie sie uns in
den Zeugbüchern des Kaisers Maximilian I. (um
1500, k. k. Kunsthistorisches Hof-Museum inWien)
entgegentritt.
Im ganzen betrachtet zeigt, die Handschrift
des Valentin von Sebisch eine Ursprünglichkeit
der Auffassung und eine Klarheit des Ausdruckes,
wie wir sie bei den deutschen Artilleristen des
ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts
(z. B. Dilich 1607, Dambach 1609) nicht wieder
linden. Denn diese Schriftsteller lehnen sich
— fast bis zur wörtlichen Übereinstimmung —
an ältere Vorbilder wie Fronsperger, Zümermann,
Brechtei usw. an und lassen in der Anordnung
des Stoffes wie in der Beurteilung des Wesent-
lichen und Vernünftigen meist zu wünschen
übrig. Auch von dem damals so üppig blühen-
den Aberglauben und Geheimniskram der Ar-
tilleristen hält sich Sebisch vollkommen frei, und
ebensowenig huldigt er in seinem Text den zu
jener Zeit bei den deutschen Büchsenmeistern
beliebten pyrotechnischen Spielereien, mit denen
die meisten Artillerieschriftsteller ihre Bücher
bis zum Überdrufs vollstopften.
Der Bilderatlas (cod. 940) enthält zunächst
zwei Blätter Zeichnungen von Schlachtordnungen,
die in ihrer verwickelten Form beweisen, dafs
Sebisch in das wahre Wesen der Taktik nicht
eingedrungen ist und sich vielmehr in Tüfteleien
gefällt. — Es folgt die zeichnerisch ganz hervor-
ragend ausgeführte farbige Darstellung eines
wohl von Sebisch erfundenen Entfernungs-
messers mit Kompaß, Dioptern usw. Nicht
unmöglich scheint es, dafs dem Verfasser das
schon' oben erwähnte, damals eben erschienene
Werk des Italieners Capo Bianco schon bekannt
gewesen ist; denn dieser bringt eine ähnliche,
aber primitivere Form des Entfernungsmessers.
— Weiter enthält der Atlas zwei Zeichnungen

von Sturmgerät: eine zusammensetzbare Leiter
zum Ersteigen von Mauern und eine Rollbrücke
zum Überschreiten von Gräben.
Dann kommen die eigentlichen artilleris-
tischen Zeichnungen: ein schön in Naturfarben
dargestellter „stehender“ Mörser nebst Lafette
(doppeltes Folioformat); jede Einzelheit ist mit
Sorgfalt und Kunstfertigkeit wiedergegeben. Die
Mörserlafette erinnert entfernt an die des Grafen
Reinhart des Älteren zu Solms (1559): zum Nehmen
der Erhöhung dient ein Windewerk und ein
doppelter Zahnbogen mit Sperrklinke. — Die
nächsten Blätter füllen die Umrifszeichnungen
von Rohren und Lafetten; auch hier wirkt die
Sauberkeit der Zeichnung erfreuend, wenngleich
es dem Verfasser nicht mehr gelang, die Ab-
bildungen fertigzustellen. — Wieder in Farben,
aber weniger schön ausgeführt, tritt uns dann
die Zeichnung einer Pulvermühle entgegen. Das
Triebwerk bildet ein System oberschlächtiger
Wasserräder mit einem Paternosterwerk zum
Flerauffördern des Betriebswassers; es ist ohne
Zweifel als “perpetuum mobile” gedacht. — Die
nächsten Zeichnungen sind mit Feder und schwarzer
Tusche hergestellt: eine Art Wasserrad, leider
ohne erläuterndem Text; eine flaschenzugartige
Vorrichtung mit doppelter Kurbel und einem
Tragegerüst, in dem sich wohl ein Mensch von
einem Turm oder in einen Brunnen hinablassen
sollte; endlich ein zweiräderiger Karren mit einem
Rollensystem, vielleicht zum Vorschieben von
Sturmbrücken über einen Graben (?). Leider
fehlt überall der Text.
Den weiteren Inhalt des Atlas bilden gerade-
zu herrlich ausgeführte Darstellungen von Lust-
feuerwerken, wie sie damals die Büchsenmeister
zu Ehren ihrer Fürsten zu veranstalten verstehen
mufsten. Hier hat Sebisch seiner künstlerischen
Einbildungskraft ganz den Willen gelassen und
in farbenfrohen Bildern auch manches wirklich
Schöne geschaffen. Hervorzuheben sind schliefs-
lich noch die eingeklebten Kupferstiche mit Dar-
stellungen von Feuerwerken.
Herr Valentin von Sebisch mufs, nach seinen
Aufzeichnungen zu urteilen, ein technisch und
artilleristisch hochbegabter Mann gewesen sein.
Die von ihm verfafste Handschrift scheint mir
weiterer Aufmerksamkeit militärischer wie künst-
lerischer Sachverständiger nicht unwert.
 
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