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der Rose. Sie hat für das Naturgefühl Persiens denselben Vorrang vor
anderen Blumen wie d<jr Lotus in Indien. Wie sie mit ihren hochgezüchteten
„sechzig-“ und „hundert“blättrigen Arten in duftender Wirklichkeit zu
uns als Königin der Blumen kam, scheint auch der in Persien zur Rose
umgewandelte indische Lotus als sakrales Symbol seinen Weg ins christliche
Mittelalter gezogen zu sein; Dantes Himmelsrose ist nicht zu trennen von
den leuchtenden Glasrosen der Kathedralen, die (wie z. B. in Chartres) Christus
umgeben von den Ringen der Heiligen und Märtyrer, im Kreise der Engel,
Throne und Herrlichkeiten zeigen.
Dantes Schilderung zeigt das indische Symbol bereits in großartiger Auf-
lösung : die göttliche Dreieinigkeit sitzt nicht leibhaftig wie alle Heiligen und
Seligen, die sie auf Blätterringen umkränzen, auf dem Blütenboden der
großen Blume, sondern füllt ihn als strahlender Lichtquell, dessen blendende
Flut dem begnadeten Auge in drei Ringe auseinandertritt. (- Indien hätte
wahrscheinlich eine dreiköpfige Gestalt auf dem Grunde dieser Blume ge-
schaut.) Einen anderen Zug in Dantes Darstellung mag man als Spiel des
Dichters mit dem alten Symbol empfinden, das der christlichen Welt aus dem
Osten überkommen und nicht wurzelhaft in ihr gewachsen war, — und Spiel
mit Symbolen bedeutet ja ihre Auflösung als Symbol und ist ein Zeichen ihrer
Sterbestunden: für Dante ist die himmlische Rose eine Rose schlechthin, kein
Symbol des Absoluten und seiner Entfaltung, wie der Lotus in Indien: darum
bevölkert er sie mit dem goldgeflügelten, kristallklaren Bienenschwarm der
Engel, der Seligkeit verbreitet, indem er zwischen den von Verklärten be-
völkerten Blättern und dem göttlichen Quell höchster Süße auf dem Grunde
der Blume hin und her fliegt.
 
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