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Frauenporträt (Allegorisches Porträt
der Simonetta Vespucci), Ausschnitt,
um 1480-1485 (?) (Kat. 39)

A/ er Umstand, daß Botticelli zu den profiliertesten Porträtmalern des Quattro-
cento gehörte, hat bislang keine Beachtung gefunden. Tatsächlich schuf er deutlich
mehr autonome Einzelbildnisse als die in der ersten Jahrhunderthälfte tätigen Prota-
gonisten dieser Gattung wie beispielsweise Masaccio, Paolo Uccello und Domenico
Veneziano, und auch im Vergleich mit seinen zeitgenössischen Kollegen ragte er mit
fast zwei Dutzend erhaltenen bzw. sicher nachgewiesenen und plausibel zugeschrie-
benen Bildnissen heraus. Hingegen brachte es Botticellis Lehrer Filippo Lippi auf
kaum ein halbes Dutzend Gemälde dieser Gattung, der nur wenig jüngere Leonardo
da Vinci auf nur fünf sicher zugeschriebene Porträts: die Ginevra de' Benci, die Ceci-
lia Gallerani, die sogenannte Belle Ferroniere, den Bildniskarton mit Isabella d' Este
und die Mona Lisa. Ähnliches gilt für einen Vergleich mit den Gebrüdern Pollaiuolo
und mit dem sehr produktiven Maler Domenico Ghirlandaio, dem sicher nur das
Doppelbildnis Francesco Sassettis mit seinem Sohn Teodoro von 1485-1490 (New
York), das Porträt der Giovanna degli Albizzi von 1488 (Madrid) sowie das Doppel-
bildnis eines Alten Mannes mit Enkel, um 1490 (Paris), zugeschrieben werden. Hinzu
kommen im Falle Ghirlandaios noch einige Arbeiten aus seinem Umfeld und seiner
Werkstatt, deren Autorschaft bis heute strittig ist. Zudem scheint sich die Porträt-
produktion Ghirlandaios auf die Jahre zwischen 1485 und 1490 sowie auf vergleichs-
weise große Formate konzentriert zu haben. Demgegenüber schuf Botticelli Bild-
nisse unterschiedlichster Formate und über einen viel längeren Zeitraum, von etwa
1473-1475 bis ungefähr zum Jahrhundertwechsel. Hinsichtlich der Quantität ist mit
ihm lediglich der außerhalb von Florenz tätige Künstler Antonello da Messina ver-
gleichbar, der unter dem Einfluß flämischer Malerei das bis dahin größte Porträt-
CEuvre südlich der Alpen schuf. Doch für den mittelitalienischen Bereich muß man
dem Florentiner Künstler angesichts der hier gezogenen Vergleiche eine herausra-
gende Stellung bescheinigen. Diese Sonderrolle bestätigt auch ein Blick auf die von
Botticelli verwandten Formate, denn sowohl im Männerporträt als auch im weib-
lichen Bildnis schuf Botticelli die bis dahin größten Beispiele ihrer Gattung.
In der Frühphase seiner Karriere ist der junge Botticelli als Porträtmaler
paradoxerweise am deutlichsten in der Anbetung für Guaspare del Lama (Abb. S. 40)
greifbar, in einem Altarbild also. Tatsächlich werfen vor allem seine ersten Einzel-
bildnisse hinsichtlich Zuschreibung, Identifizierung der dargestellten Personen,
Kontext und Datierung in fast allen Fällen mehr oder weniger große Probleme auf.
In der Anbetung für Guaspare del Lama hingegen bestehen alle diese Probleme nicht:
Die fünf Medici-Bildnisse Cosimos, Pieros, Giovannis, Lorenzos und Giulianos sind
unzweifelhaft oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit identifiziert, das
Porträt Guaspare del Lamas im rechten Hintergrund ebenfalls. Die Funktion des
Altarbildes und seiner Bildnisse ergibt sich aus der Loyalität des Stifters gegenüber den
Medici. Möglicherweise ist dieser Befund bezeichnend für die Entstehungsbedingun-
gen der Bildnisse Botticellis, denn seine Aktivitäten als Porträtmaler scheinen von
Beginn an mit dieser Familie verknüpft gewesen zu sein, was auch für die meisten
späteren Bildnisse zutrifft: Allein vier Porträts malten Botticelli und seine Werkstatt

48 [Botticelli als Porträtmaler]
 
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