«... denn dasjenige Tatsächliche,
das wir suchen, sind die Denkweisen,
die ja auch Tatsachen sind.»
(J. Burckhardt, Einleitung zur
Griechischen Kulturgeschichte)
Da Historiker nun einmal dazu neigen, das, was sie in ihrer jeweiligen
Gegenwart bewegt, in ihre Erforschung der Vergangenheit einzubeziehen,
ist es kein Wunder, wenn in einer Situation, in der die Diskussion über
Erkenntnismöglichkeiten und Erkenntniswert der Geschichtswissenschaft er-
neut ein geradezu unübersehbares Ausmaß angenommen hat, der Alt-
historiker sich danach umsieht, welcher Rang und welche Erkenntnis-
funktion seiner «Wissenschaft» in der Antike eingeräumt worden ist — falls
es sie damals als solche gegeben hat. Im Bereich der Altertumswissenschaft
ist die Historiographie lange Zeit von den Historikern wohl vordringlich
zur Klärung quellenkritischer Fragen betrieben, im übrigen aber den Klas-
sischen Philologen und deren andersartigen Erkenntnisinteressen überlassen
worden1.
Wenn sich nun auch in immer stärkerem Maße Althistoriker selbst diesem
Thema zuwenden2, so ist das sicher Ausdruck für die allgemeine «Krise des
Geschichtsbewußtseins»: der Wert der Historie wird nicht mehr fraglos
vorausgesetzt, sondern selbst zum Gegenstand der Forschung. Die besten
Arbeiten, die in den letzten Jahrzehnten auf diesem Gebiet geleistet worden
sind, beweisen, daß eine derartige Ausgangslage für die wissenschaftliche
Erkenntnis sehr fruchtbar sein kann. Es wird nun höchste Zeit, von Grund
auf noch einmal nachzuprüfen, ob das antike Vokabular und gewisse der
Antike zugeschriebene geschichtliche Denkschemata, mit denen die all-
1 Diese Arbeit war H. Strasburger zu seinem 65. Geburtstag am 21. 6. 1974 gewidmet.
Für eingehende und hilfreiche Kritik des Manuskriptes bin ich den Herren Professoren
H. Hommel, K. Gaiser und W. Kullmann zu großem Dank verpflichtet.
2 Zur modernen Auseinandersetzung von Althistorikern mit der Historiographie : A. Momi-
gliano, Contributo alla storia degli studi classici, 1955; Secondo contributo ..., 1960;
Terzo contributo .. ., I und II, 1966; Quarto contributo alla storia degli studi classici
e del mondo antico, 1969; ders. Studies in Historiography (1966) 1969; H. Strasburger,
Die Wesensbestimmung der Geschichte durch die antike Geschichtsschreibung, Sitzungs-
ber. d. Wiss. Ges. an d. Univ. Frankfurt/M., 5, 1966, Nr. 3, 3. Aufl. 1975; S. Mazzarino,
Il pensiero storico classico, I 1966, II 1, 1966; II 2, 1972; Ch. Starr, The Awakening
of the Greek Historical Spirit, 1968; J. Cobet, Herodots Exkurse und die Frage der
Einheit seines Werkes, Historia-Einzelschriften 17, 1971 (ursprünglich eine klassisch-
philologische Dissertation, die aber doch schon die Neigung des Autors zur Alten
Geschichte erkennen läßt) ; Chr. Meier, Geschichte — Ereignis und Erzählung, in : Poetik
und Hermeneutik V, hrsg. von R. Koselleck u. W. D. Stempel, 1973, 251—305. Unbe-
friedigend ders. s. V. „Geschichte“ in: Geschichtl. Grundbegriffe. Hist. Lexikon z. polit.-
sozial. Sprache in Deutschland, II 1975, 595—610.
das wir suchen, sind die Denkweisen,
die ja auch Tatsachen sind.»
(J. Burckhardt, Einleitung zur
Griechischen Kulturgeschichte)
Da Historiker nun einmal dazu neigen, das, was sie in ihrer jeweiligen
Gegenwart bewegt, in ihre Erforschung der Vergangenheit einzubeziehen,
ist es kein Wunder, wenn in einer Situation, in der die Diskussion über
Erkenntnismöglichkeiten und Erkenntniswert der Geschichtswissenschaft er-
neut ein geradezu unübersehbares Ausmaß angenommen hat, der Alt-
historiker sich danach umsieht, welcher Rang und welche Erkenntnis-
funktion seiner «Wissenschaft» in der Antike eingeräumt worden ist — falls
es sie damals als solche gegeben hat. Im Bereich der Altertumswissenschaft
ist die Historiographie lange Zeit von den Historikern wohl vordringlich
zur Klärung quellenkritischer Fragen betrieben, im übrigen aber den Klas-
sischen Philologen und deren andersartigen Erkenntnisinteressen überlassen
worden1.
Wenn sich nun auch in immer stärkerem Maße Althistoriker selbst diesem
Thema zuwenden2, so ist das sicher Ausdruck für die allgemeine «Krise des
Geschichtsbewußtseins»: der Wert der Historie wird nicht mehr fraglos
vorausgesetzt, sondern selbst zum Gegenstand der Forschung. Die besten
Arbeiten, die in den letzten Jahrzehnten auf diesem Gebiet geleistet worden
sind, beweisen, daß eine derartige Ausgangslage für die wissenschaftliche
Erkenntnis sehr fruchtbar sein kann. Es wird nun höchste Zeit, von Grund
auf noch einmal nachzuprüfen, ob das antike Vokabular und gewisse der
Antike zugeschriebene geschichtliche Denkschemata, mit denen die all-
1 Diese Arbeit war H. Strasburger zu seinem 65. Geburtstag am 21. 6. 1974 gewidmet.
Für eingehende und hilfreiche Kritik des Manuskriptes bin ich den Herren Professoren
H. Hommel, K. Gaiser und W. Kullmann zu großem Dank verpflichtet.
2 Zur modernen Auseinandersetzung von Althistorikern mit der Historiographie : A. Momi-
gliano, Contributo alla storia degli studi classici, 1955; Secondo contributo ..., 1960;
Terzo contributo .. ., I und II, 1966; Quarto contributo alla storia degli studi classici
e del mondo antico, 1969; ders. Studies in Historiography (1966) 1969; H. Strasburger,
Die Wesensbestimmung der Geschichte durch die antike Geschichtsschreibung, Sitzungs-
ber. d. Wiss. Ges. an d. Univ. Frankfurt/M., 5, 1966, Nr. 3, 3. Aufl. 1975; S. Mazzarino,
Il pensiero storico classico, I 1966, II 1, 1966; II 2, 1972; Ch. Starr, The Awakening
of the Greek Historical Spirit, 1968; J. Cobet, Herodots Exkurse und die Frage der
Einheit seines Werkes, Historia-Einzelschriften 17, 1971 (ursprünglich eine klassisch-
philologische Dissertation, die aber doch schon die Neigung des Autors zur Alten
Geschichte erkennen läßt) ; Chr. Meier, Geschichte — Ereignis und Erzählung, in : Poetik
und Hermeneutik V, hrsg. von R. Koselleck u. W. D. Stempel, 1973, 251—305. Unbe-
friedigend ders. s. V. „Geschichte“ in: Geschichtl. Grundbegriffe. Hist. Lexikon z. polit.-
sozial. Sprache in Deutschland, II 1975, 595—610.