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Einleitung. Die Anfänge der deutschen Volksgeschichte.
Jahrhundert zu Jahrhundert, stets ihr Gewand erneuend, verwebt die
Sage Irdisches und Himmlisches, Wahrheit und Dichtung zum phan-
tastischen Bilde, dessen Verständniss um so schwieriger wird, je höher
der Mythus in die graue Vorzeit hinaufreicht. Die gelungene Erklärung
einer Sage ist daher immer ein Gewinn, sie ist Erweiterung des lichten
Kreises des Bewusstseins, ein Sieg, welchen die Erkenntniss dem Grabe
der Vergessenheit abgerungen hat. So wie überhaupt die Geschichte
selbst aus der Sage erwachsen ist, so hat insbesondere die Sage, welche
ein unvermischtes Volk über seinen Ursprung als das heilige Erbtheil
seiner Väter mit kindlicher Treue bewahrt hat, ein Recht darauf, der
beurkundeten Geschichte in der Darstellung voran zu gehen und in
diese einzuleiten.
Wie in den Stammsagen aller alten Völker, so ist auch in dem
ältesten deutschen Sagenkreise die Göttersage und die Heldensage so
sehr in einander verwachsen, dass das Verständniss der einen mehr-
fach durch die andere bedingt ist. Nur in so weit als dies wirklich
der Fall ist, und namentlich nur in soweit als die Heldensage wirkliche
Anknüpfungspunkte für die Volksgeschichte darbietet, soll hier auch auf
die Göttersage zurückgegangen werden.
Die ältesten Mythen, welche bei dem deutschen Volke selbst in
Umlauf waren, sind uns aus dem ersten Jahrhundert n. Ch. durch
Tacitus1) aufbewahrt worden, in dessen classischer Schrift über Ger-
manien wir eine werthvolle Entschädigung für den Mangel gleichzeitiger
einheimischer Aufzeichnungen erkennen müssen. Nach dem Zeugnisse
dieses Schriftstellers stand Mercurius an der Spitze des germanischen
Götter-Cultus, ausgezeichnet durch die blutigen Menschenopfer, welche
ihm zu gewissen Zeiten im Jahre dargebracht wurden 2). Neben ihm
werden als Gottheiten, deren Cultus den säinmtlichen deutschen Stämmen
gemeinschaftlich3) ist, Hercules und Mars4) genannt, welchen
9 Ueber Tacitus vergl. Rüh’s ausführl. Erläuterung der 10 ersten Capitel
des Tac. Berlin 1821. — Bülau, Weiske und Leut sch, die Germania des
Tacitus, übers, u. mit Anmerk. Leipzig 1828. — Becker Anmerkungen und
Excurs. z. Tac. Germania. Hannover 1836. — Vergl. besonders Baehr Gesell, der
röm. Literatur, 3te Aufl. 1841. §. 363, 364 (früher §. 329 a. b.) —
Tac. Germ. c. 9. „Deorum maxime Mercurium colunt, cui certis diebus
humanis quoque hostiis litare fas habent. Here ul em et Martern concessis ani-
malibus placant: pars Suevorum et Isidi sacrificat.“ — Dasselbe berichtete schon
früher Caesar, Bell. Gall. VI. 18. von den Galliern, fast mit denselben Worten,
wie Tacitus von den Germanen: „Deum maxime Mercurium colunt.“ —
3) Auch Hist. IV. c. 64. spricht Tacitus von ncommunibus Diis.“ —
O S. Note 2. -
Einleitung. Die Anfänge der deutschen Volksgeschichte.
Jahrhundert zu Jahrhundert, stets ihr Gewand erneuend, verwebt die
Sage Irdisches und Himmlisches, Wahrheit und Dichtung zum phan-
tastischen Bilde, dessen Verständniss um so schwieriger wird, je höher
der Mythus in die graue Vorzeit hinaufreicht. Die gelungene Erklärung
einer Sage ist daher immer ein Gewinn, sie ist Erweiterung des lichten
Kreises des Bewusstseins, ein Sieg, welchen die Erkenntniss dem Grabe
der Vergessenheit abgerungen hat. So wie überhaupt die Geschichte
selbst aus der Sage erwachsen ist, so hat insbesondere die Sage, welche
ein unvermischtes Volk über seinen Ursprung als das heilige Erbtheil
seiner Väter mit kindlicher Treue bewahrt hat, ein Recht darauf, der
beurkundeten Geschichte in der Darstellung voran zu gehen und in
diese einzuleiten.
Wie in den Stammsagen aller alten Völker, so ist auch in dem
ältesten deutschen Sagenkreise die Göttersage und die Heldensage so
sehr in einander verwachsen, dass das Verständniss der einen mehr-
fach durch die andere bedingt ist. Nur in so weit als dies wirklich
der Fall ist, und namentlich nur in soweit als die Heldensage wirkliche
Anknüpfungspunkte für die Volksgeschichte darbietet, soll hier auch auf
die Göttersage zurückgegangen werden.
Die ältesten Mythen, welche bei dem deutschen Volke selbst in
Umlauf waren, sind uns aus dem ersten Jahrhundert n. Ch. durch
Tacitus1) aufbewahrt worden, in dessen classischer Schrift über Ger-
manien wir eine werthvolle Entschädigung für den Mangel gleichzeitiger
einheimischer Aufzeichnungen erkennen müssen. Nach dem Zeugnisse
dieses Schriftstellers stand Mercurius an der Spitze des germanischen
Götter-Cultus, ausgezeichnet durch die blutigen Menschenopfer, welche
ihm zu gewissen Zeiten im Jahre dargebracht wurden 2). Neben ihm
werden als Gottheiten, deren Cultus den säinmtlichen deutschen Stämmen
gemeinschaftlich3) ist, Hercules und Mars4) genannt, welchen
9 Ueber Tacitus vergl. Rüh’s ausführl. Erläuterung der 10 ersten Capitel
des Tac. Berlin 1821. — Bülau, Weiske und Leut sch, die Germania des
Tacitus, übers, u. mit Anmerk. Leipzig 1828. — Becker Anmerkungen und
Excurs. z. Tac. Germania. Hannover 1836. — Vergl. besonders Baehr Gesell, der
röm. Literatur, 3te Aufl. 1841. §. 363, 364 (früher §. 329 a. b.) —
Tac. Germ. c. 9. „Deorum maxime Mercurium colunt, cui certis diebus
humanis quoque hostiis litare fas habent. Here ul em et Martern concessis ani-
malibus placant: pars Suevorum et Isidi sacrificat.“ — Dasselbe berichtete schon
früher Caesar, Bell. Gall. VI. 18. von den Galliern, fast mit denselben Worten,
wie Tacitus von den Germanen: „Deum maxime Mercurium colunt.“ —
3) Auch Hist. IV. c. 64. spricht Tacitus von ncommunibus Diis.“ —
O S. Note 2. -