Einführung

Hartmanns von Aue Erek ist nur in einer einzigen Handschrift vollständig überliefert, die zudem erst sehr spät entstand. Es handelt sich um das sogenannte Ambraser Heldenbuch, das im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts von Kaiser Maximilian in Auftrag gegeben und 1516/17 beendet wurde. Dort steht der Erek hinter dem Iwein. Zwei Fragmente aus dem 13. und eines aus dem 14. Jahrhundert vervollständigen das Panorama der erhaltenen Texte.

Diese Überlieferungslage ist jedoch nur scheinbar einfach. Denn in einem der Fragmente (W) entspricht ein Teil des Textes nicht dem der einzig vollständigen Handschrift; es scheint sich dort um eine andere Fassung des Werks zu handeln. Man hat dies (wegen des Sprachstands) den Mitteldeutschen Erek genannt. Später wurde ein weiteres Fragment (Z) entdeckt, das ebenfalls eine abweichende Textfassung enthält und diesem Mitteldeutschen Erek zugeschrieben wurde. Vieles ist jedoch noch unklar in diesem Kontext, z.B. ob es sich wirklich um ein anderes Werk oder lediglich um eine an manchen Stellen leicht bearbeitende Fassung handelte. Auch deswegen werden diese beiden Fragmente in das Projekt Erek – digital aufgenommen.

Die Überlieferungslage wird zudem dadurch komplexer, dass die einzige vollständige Handschrift unter demselben Titel aber vor der eigentlichen Erek-Handlung in 995 Versen noch ein arthurisches Abenteuer um einen Zaubermantel vorschiebt. Da dieser erste Teil keine Entsprechung mit Hartmanns Vorlage, dem Erec des Chrétien de Troyes, aufweist und da außerdem an der Schnittstelle zwischen beiden Segmenten ein kleiner Handlungssprung vorliegt, ist man seit dem 19. Jahrhundert davon ausgegangen, dass hier zwei unabhängige Texte durch Unachtsamkeit verbunden wurden. Der Erek wurde seitdem stets ohne den Vorspann ediert, als ob der Anfang der Erzählung nicht überliefert sei. So wurde der Erek seitdem stets ohne den Vorspann ediert worden, als ob der Anfang der Erzählung nicht überliefert sei. Zu Unrecht, denn der Schreiber der Haupthandschrift A hat durch eine mehrzeilige Überschrift klargemacht, dass für ihn die beiden Erzählstränge zusammengehören. Man mag interpretatorisch durchaus zu dem Schluss kommen, dass beide Teile nicht vom selben Autor stammen; doch editorisch geht kein Weg an einer Wiedergabe des vollständigen Textes der einzig kompletten Handschrift vorbei.

Erst die Edition von Timo Felber, Andreas Hammer und Victor Millet von 2017 (2. Auflage 2022) hat diesen Umständen Rechnung getragen und den Erek streng nach der Handschrift A ediert, mit Beigabe aller Fragmente. Um sie hat sich eine aktive Debatte entspannt, sowohl um das Problem der Zugehörigkeit des Mantels wie um die Frage, ob die Textfassung dieser sehr späten Handschrift noch Hartmann von Aue zugeschrieben werden kann. Die vorliegende digitale Ausgabe folgt dem in der Edition von 2017 eingeschlagenen Weg weiter. Wie sie (und wie die anderen digitalen Editionen der Werke Hartmanns von Aue) will Erek – digital keine kritische Ausgabe des Erek bieten. Ziel ist es nicht, einen vermeintlichen Text Hartmanns von Aue zurückzugewinnen; dazu gab es eineinhalb Jahrhunderte lang die Editionen Moritz Haupts, Albert Leitzmanns und ihrer Nachfolger. Vielmehr soll auch hier der Text der einzigen Handschrift wiedergegeben werden. Dabei entfällt auch die in den älteren Editionen übliche Umsetzung in ein 'Normalmittelhochdeutsch', das zudem ein wichtiges Einfallstor für jede Menge unnötige Korrekturen war.

Erek – digital will die Überlieferungszeugen des Erek in ihrer aktuellen Gestalt und in größerer Breite editorisch aufarbeiten und lesbar machen. Es geht somit in diesem Projekt darum, gerade die Variation in der Überlieferung des Textes aufzuzeigen und vorzuführen, wie er über die Jahrhunderte gelesen und gedeutet wurde.

Seit der ersten Edition durch Moritz Haupt ist der Held des Romans in der Forschung als Erec bekannt. Es ist jedoch festzustellen, dass keine einzige Handschrift oder Fragment den Namen mit ⟨c⟩ schreibt; meist wird er mit ⟨k⟩ am Ende geschrieben. Auch andere Dichter des 13. Jahrhunderts, die diese Figur in ihren Werken erwähnen, schreiben den Namen mit ⟨k⟩. Handschrift A schreibt ihn meist mit ⟨ck⟩; aus diesem Grund haben Felber, Hammer und Millet in ihrer Edition den Text mit Ereck betitelt. Da diese Schreibform aber eindeutig ins 16. Jahrhundert gehört, sind wir hier von ihr abgerückt. Gleichzeitig aber ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die Überlieferung stets ⟨Erek⟩ schreibt und die französisierende Form mit ⟨c⟩ von der Forschung zu Unrecht verwendet wurde.