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Der Ixlapphrir.
eine Exzellenz Staatsrat Baron von Schladerbach hatte seine
Billa in unmittelbarer Bähe der Residenzstadt erst kürz-
lich bezogen. Er beabsichtigte dabei durchaus nicht, sich
von der Gesellschaft auf eine Reihe von Monaten zu ver-
abschieden; sein Sommersitz war im Gegenteil erst recht der
Sammelpunkt der seinen Welt, da er cs an Einladungen zu seit-
lichen Veranstaltungen aller Art nicht fehlen ließ.
Seine Gemahlin, eine geborene Fürstin von Krzbazipatoff,
liebte es außerordentlich, von einer möglichst großen Zahl vor-
nehmer Schineichlcr umgeben zu sein, zumal sie sich noch als
eine stolze Schönheit aufspielte, trotzdem ihre beiden Töchter Lilli
und Milli bereits das heiratsfähige Alter beschritten hatten, wo-
von sie sich aber nichts merken lassen dursten; sie trugen noch
kurze Kleidchen und Mozartzöpfe mit seidenen Bandschleifen.
Aber die jungen Herren der Aristokratie ließen sich durch diese
Verkleidung nicht täuschen; dieselbe erleichterte ihnen sogar die
gewünschte Annäherung an die reizenden Geschöpfe, welche auch
in Ansehung ihrer zu erwartenden Mitgift jeden Hcirats-
kandidatcn zur höchsten Verehrung begeisterten.
Eine Einladung bei Seiner Exzellenz war deshalb stets
hochwillkommen, und mit peinlicher Sorgfalt bereiteten sich die
Auserwählten vor, derselben würdigst zu entsprechen.
Die erste Soiree war festgesetzt und mit vielen anderen war
uuch der Legationsrat Freiherr von Fluigcnhorst hiezu gebeten
worden. Derselbe war Junggeselle, hatte alle Aussicht, Karriere
Zu machen, und diH besten Familien, welche Töchter auf Lager
latten, öffneten ihm bei jeder Gelegenheit Tür und Tor. Der
-ferr Legationsrat Hatto aber schon einmal ein Vielliebchen
uut Baronesse Lilli gegessen und dabei seinen Kops mit dem
-Krzcn verloren, Heute abend sollte er wieder das Glück ge-
u>eßen, sich mit dem Kinde unterhalten zu dürfen!
Er bereitete sich mit
allein Raffinement darauf
vor. Der Friseur arbeitete
mit Aufgebot seiner ganzen
Kunstfertigkeit. Er lockte
und wellte die Haare aus
dem freiherrlichen Haupte
so zierlich, daß cs wirklich
gcfrcvelt schien, dieses Kunst-
werk durch das Aufsetzen
eines Hutes zu schädigen;
er schlug deshalb vor, der
Herr Baron möge zur Fahrt
nach der Villa eine leichte
Reisemütze benützen und
ucle dann beim Eintritt in das Haus mit dem Ehapcau ver>
duschen. Der Lcgationsrat fand diesen Vorschlag sehr ver-
nünftig; xx bedeckte seinen Lockenkopf mit der Mütze, als er in
offene Droschke stieg, die ihn zur Villa bringen sollte, und
säte den Ehapcau zusammengeklappt neben sich auf den lvagen-
die leichte Seidcnhaube konnte er später ganz gut im Wagen,
Cl ohnehin zur Rückfahrt bestellt war, versorgen.
Ein prächtiger Sommerabend begünstigte die Ausfahrt ins
lllenquartier; der Lcgationsrat war in der glücklichsten Stim-
mung; Herz schlug höher, als er sich dem Gartentor näherte,
Mlter welchem die Villa der Exzellenz lag. Er beeilte sich, die
lacehandschuhc anzuziehen — der Wagen hielt und der elegante
Gast legte die Reisemütze beiseite, um den Ehapcau zur Band
zu nehmen. Doch welch ein Schrecken: der Hut, den er neben
sich am Wagensitz versorgt hatte, war verschwunden!
Entsetzlich! Alles Suchen war vergeblich — weiß Gott, wo
der verfluchte, zusammengeklappte Deckel ausgekniffen war! Was
tun? Mit der grauen Reisemütze konnte man doch nicht in den
illustren Kreis treten; die Etikette verlangte, daß der ankommcnde
Gast mit dem Hut in der Hand seine Begrüßung vornehme.
Der Legationsrat stand wie betäubt vor dem verdutzten
Rosselenker und sann auf das, was jetzt zu tun sei. Da fiel sein
Blick auf den schäbigen Zylinderhut des Kutschers und ein
Seufzer der Erlösung entrang sich seiner Brust. „Kutscher",
sagte er — „was kostet Ihr Hut?" — „Mell fjuat? Gnä' Herr,
mell Huat? I' wcrd' do' net mein' Huat verkaufa!" cntgcgncte
der Droschkenführcr.
„Rasch her mit dem Hut!" — drängte der Legationsrat —
„Sic warten im nächsten Wirtshaus auf mich, dort bekommen
Sie ihn wieder; ich muß ihn haben — also schnell, was kostet
er — drei — fünf Mark?" Da grinste der Kutscher scclcn-
vergnügt, nahm den Zylinder vom Kopf und überreichte ihn dem
Fahrgast. „Db er Eahna aba recht is?" meinte er dabei. „Das
ist gleichgültig", cntgcgncte dieser, nahm den Hut, legte ihn auf
den Wagensitz und setzte sich ein-, zwei-, dreimal mit aller Wucht
darauf, bis er, plattgedrückt wie ein Kuchen, einem Klapphut so
ähnlich sah, wie ein Ei dem andern. Dann betrat der Legations-
rat den Garten. Der Kutscher fuhr lachend davon.
Exzellenz empfing die Gäste in der Loggia; Baron Fluigen
horst preßte den Talmi-Llaque krampfhaft an sich und ließ den-
selben so wenig als möglich in Aktion treten. Die Unterhaltung
mit Exzellenz und hochdcffcn Gemahlin war glücklich überstanden;
nun eilte Baronesse Lilli auf den Lcgationsrat zu und bald war
eine äußerst lebhafte Konversation im Gang. Der glückliche
Lcgationsrat dachte fast nicht mehr an den ominösen Hut, welchen
er krampfhaft mit dem Ellbogen an die Seite preßte — als sich
plötzlich die Gesellschaft erhob, um zur Tafel zu schreiten. Baron
Fluigenhorst bot der süßen kleinen Lilli den Arm; man trat in
den Speisesaal, die Herren legten ihre Klapp- oder Zylinderhüte
auf die Spiegeltische und nahmen dann die ihnen zugcwicsencn
Plätze ein.
Baronesse Lilli flüsterte errötend: „Wir sitzen nebeneinander!"
und machte Miene, den Ehapcau des Barons liebenswürdigst ab-
Der Ixlapphrir.
eine Exzellenz Staatsrat Baron von Schladerbach hatte seine
Billa in unmittelbarer Bähe der Residenzstadt erst kürz-
lich bezogen. Er beabsichtigte dabei durchaus nicht, sich
von der Gesellschaft auf eine Reihe von Monaten zu ver-
abschieden; sein Sommersitz war im Gegenteil erst recht der
Sammelpunkt der seinen Welt, da er cs an Einladungen zu seit-
lichen Veranstaltungen aller Art nicht fehlen ließ.
Seine Gemahlin, eine geborene Fürstin von Krzbazipatoff,
liebte es außerordentlich, von einer möglichst großen Zahl vor-
nehmer Schineichlcr umgeben zu sein, zumal sie sich noch als
eine stolze Schönheit aufspielte, trotzdem ihre beiden Töchter Lilli
und Milli bereits das heiratsfähige Alter beschritten hatten, wo-
von sie sich aber nichts merken lassen dursten; sie trugen noch
kurze Kleidchen und Mozartzöpfe mit seidenen Bandschleifen.
Aber die jungen Herren der Aristokratie ließen sich durch diese
Verkleidung nicht täuschen; dieselbe erleichterte ihnen sogar die
gewünschte Annäherung an die reizenden Geschöpfe, welche auch
in Ansehung ihrer zu erwartenden Mitgift jeden Hcirats-
kandidatcn zur höchsten Verehrung begeisterten.
Eine Einladung bei Seiner Exzellenz war deshalb stets
hochwillkommen, und mit peinlicher Sorgfalt bereiteten sich die
Auserwählten vor, derselben würdigst zu entsprechen.
Die erste Soiree war festgesetzt und mit vielen anderen war
uuch der Legationsrat Freiherr von Fluigcnhorst hiezu gebeten
worden. Derselbe war Junggeselle, hatte alle Aussicht, Karriere
Zu machen, und diH besten Familien, welche Töchter auf Lager
latten, öffneten ihm bei jeder Gelegenheit Tür und Tor. Der
-ferr Legationsrat Hatto aber schon einmal ein Vielliebchen
uut Baronesse Lilli gegessen und dabei seinen Kops mit dem
-Krzcn verloren, Heute abend sollte er wieder das Glück ge-
u>eßen, sich mit dem Kinde unterhalten zu dürfen!
Er bereitete sich mit
allein Raffinement darauf
vor. Der Friseur arbeitete
mit Aufgebot seiner ganzen
Kunstfertigkeit. Er lockte
und wellte die Haare aus
dem freiherrlichen Haupte
so zierlich, daß cs wirklich
gcfrcvelt schien, dieses Kunst-
werk durch das Aufsetzen
eines Hutes zu schädigen;
er schlug deshalb vor, der
Herr Baron möge zur Fahrt
nach der Villa eine leichte
Reisemütze benützen und
ucle dann beim Eintritt in das Haus mit dem Ehapcau ver>
duschen. Der Lcgationsrat fand diesen Vorschlag sehr ver-
nünftig; xx bedeckte seinen Lockenkopf mit der Mütze, als er in
offene Droschke stieg, die ihn zur Villa bringen sollte, und
säte den Ehapcau zusammengeklappt neben sich auf den lvagen-
die leichte Seidcnhaube konnte er später ganz gut im Wagen,
Cl ohnehin zur Rückfahrt bestellt war, versorgen.
Ein prächtiger Sommerabend begünstigte die Ausfahrt ins
lllenquartier; der Lcgationsrat war in der glücklichsten Stim-
mung; Herz schlug höher, als er sich dem Gartentor näherte,
Mlter welchem die Villa der Exzellenz lag. Er beeilte sich, die
lacehandschuhc anzuziehen — der Wagen hielt und der elegante
Gast legte die Reisemütze beiseite, um den Ehapcau zur Band
zu nehmen. Doch welch ein Schrecken: der Hut, den er neben
sich am Wagensitz versorgt hatte, war verschwunden!
Entsetzlich! Alles Suchen war vergeblich — weiß Gott, wo
der verfluchte, zusammengeklappte Deckel ausgekniffen war! Was
tun? Mit der grauen Reisemütze konnte man doch nicht in den
illustren Kreis treten; die Etikette verlangte, daß der ankommcnde
Gast mit dem Hut in der Hand seine Begrüßung vornehme.
Der Legationsrat stand wie betäubt vor dem verdutzten
Rosselenker und sann auf das, was jetzt zu tun sei. Da fiel sein
Blick auf den schäbigen Zylinderhut des Kutschers und ein
Seufzer der Erlösung entrang sich seiner Brust. „Kutscher",
sagte er — „was kostet Ihr Hut?" — „Mell fjuat? Gnä' Herr,
mell Huat? I' wcrd' do' net mein' Huat verkaufa!" cntgcgncte
der Droschkenführcr.
„Rasch her mit dem Hut!" — drängte der Legationsrat —
„Sic warten im nächsten Wirtshaus auf mich, dort bekommen
Sie ihn wieder; ich muß ihn haben — also schnell, was kostet
er — drei — fünf Mark?" Da grinste der Kutscher scclcn-
vergnügt, nahm den Zylinder vom Kopf und überreichte ihn dem
Fahrgast. „Db er Eahna aba recht is?" meinte er dabei. „Das
ist gleichgültig", cntgcgncte dieser, nahm den Hut, legte ihn auf
den Wagensitz und setzte sich ein-, zwei-, dreimal mit aller Wucht
darauf, bis er, plattgedrückt wie ein Kuchen, einem Klapphut so
ähnlich sah, wie ein Ei dem andern. Dann betrat der Legations-
rat den Garten. Der Kutscher fuhr lachend davon.
Exzellenz empfing die Gäste in der Loggia; Baron Fluigen
horst preßte den Talmi-Llaque krampfhaft an sich und ließ den-
selben so wenig als möglich in Aktion treten. Die Unterhaltung
mit Exzellenz und hochdcffcn Gemahlin war glücklich überstanden;
nun eilte Baronesse Lilli auf den Lcgationsrat zu und bald war
eine äußerst lebhafte Konversation im Gang. Der glückliche
Lcgationsrat dachte fast nicht mehr an den ominösen Hut, welchen
er krampfhaft mit dem Ellbogen an die Seite preßte — als sich
plötzlich die Gesellschaft erhob, um zur Tafel zu schreiten. Baron
Fluigenhorst bot der süßen kleinen Lilli den Arm; man trat in
den Speisesaal, die Herren legten ihre Klapp- oder Zylinderhüte
auf die Spiegeltische und nahmen dann die ihnen zugcwicsencn
Plätze ein.
Baronesse Lilli flüsterte errötend: „Wir sitzen nebeneinander!"
und machte Miene, den Ehapcau des Barons liebenswürdigst ab-
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Klapphut"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 123.1905, Nr. 3138, S. 129
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg