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Der Fluch der Wahrheit.
unliebsamen Konkurrenten einen Streich zu spielen, und der
älteste unter ihnen fügte hinzu, daß die niedrigen Preise
Mustaphas längst ihre Bedenken erregt hätten.
„Siehst Du, Elender", wandte sich der Kadi an ihn, „Deine
Lügen und Verdächtigungen helfen Dir nichts. Vier haben
zehn angesehene Männer das Gegenteil von Deinen Aussagen
beschworen. So verurteile ich Dich denn, tausend Goldstücke zur
Strafe zu zahlen, und Du wirst schwören, fernerhin nur richtige
Ware zu führen. Polizeirichter, sprich ihm den Lid vor!"
Der Polizeirichter begann: „Ich schwöre bei Allah und bei
der Weisheit und Gerechtigkeit des Kadi ..."
Lr schwieg in der Erwartung, daß Mustaxha diese Worte
wiederholen würde; der aber stierte auf den Boden und be-
wegte wohl die Lippen, brachte jedoch keinen Laut hervor.
„wirst Du die Worte wiederholen", rief der Kadi, „oder
ich lasse Dich gebunden ins Gefängnis werfen!"
„perr", erwiderte Mustaxha und rang die pände, „erlaß mir
diesen Lid; denn ich kann ihn nach meinem Gewissen nicht
schwören."
„weshalb kannst Du den Schwur nicht leisten, den jeder brave
Muselmann unbedenklich ablegt?" fragte der Kadi erstaunt. —
Mustaxha warf sich vor ihm nieder und rief: „perr, ich soll
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bet Allah schworen, und das will ich tun; denn ich glaube an
Allah. Ich soll aber auch bei Deiner Weisheit und Gerechtigkeit
schworen, und das kann ich nicht; denn sieh, ^err, Du bist vor
Allah nur ein geringer Sterblicher wie wir andern alle und auch
Irrtümern unterworfen! weiß ich doch ^älle, in denen Dein
Urteil durchaus ungerecht und unweise war. Und bei Deiner
Gerechtigkeit kann ich nicht schworen, da es doch bekannt ist, daß
kürzlich ein vornehmer Betrüger durch Dich freigesprochen wurde,
nachdem er Dir hundert Goldstücke ins k^aus gesandt hatte."
Die Umstehenden waren erstarrt über diese verwegenen
Worte. Der Kadi aber erhob sich und sagte mit vor Wut zittern-
der Stimme: „Ihr habt es gehört, daß er mich der Ungerechtig-
keit und Bestechlichkeit geziehen hat. Ich aber halte hier im
Namen des Beherrschers der Gläubigen Gericht — und somit
hat er den Kalifen beschimpft. Darauf steht Todesstrafe. An
den Galgen mit ihm!"
Da stürzten sich die Lascher auf Mustapha, rissen ihn enrpor
und wollten ihn zum Saale hinausführen. Aber an der Tür
riß er sich los, warf sich nochmals vor dem Kadi nieder und
rief: „Vergönn' mir noch einmal das Wort, L^err — ich will
alles gestehen."
Die Wäscher wollten ihn aufs neue ergreifen, der Kadi aber
winkte ihnen ab und sagte: „Laßt uns hören, was er noch vor-
zubringen hat!"
Mustapha begann: „k^err, vor kurzem war ich noch ein armer
Wasserverkäufer, wie Dir meine Bekannten bezeugen werden.
Der Fluch der Wahrheit.
unliebsamen Konkurrenten einen Streich zu spielen, und der
älteste unter ihnen fügte hinzu, daß die niedrigen Preise
Mustaphas längst ihre Bedenken erregt hätten.
„Siehst Du, Elender", wandte sich der Kadi an ihn, „Deine
Lügen und Verdächtigungen helfen Dir nichts. Vier haben
zehn angesehene Männer das Gegenteil von Deinen Aussagen
beschworen. So verurteile ich Dich denn, tausend Goldstücke zur
Strafe zu zahlen, und Du wirst schwören, fernerhin nur richtige
Ware zu führen. Polizeirichter, sprich ihm den Lid vor!"
Der Polizeirichter begann: „Ich schwöre bei Allah und bei
der Weisheit und Gerechtigkeit des Kadi ..."
Lr schwieg in der Erwartung, daß Mustaxha diese Worte
wiederholen würde; der aber stierte auf den Boden und be-
wegte wohl die Lippen, brachte jedoch keinen Laut hervor.
„wirst Du die Worte wiederholen", rief der Kadi, „oder
ich lasse Dich gebunden ins Gefängnis werfen!"
„perr", erwiderte Mustaxha und rang die pände, „erlaß mir
diesen Lid; denn ich kann ihn nach meinem Gewissen nicht
schwören."
„weshalb kannst Du den Schwur nicht leisten, den jeder brave
Muselmann unbedenklich ablegt?" fragte der Kadi erstaunt. —
Mustaxha warf sich vor ihm nieder und rief: „perr, ich soll
£) Q ^
bet Allah schworen, und das will ich tun; denn ich glaube an
Allah. Ich soll aber auch bei Deiner Weisheit und Gerechtigkeit
schworen, und das kann ich nicht; denn sieh, ^err, Du bist vor
Allah nur ein geringer Sterblicher wie wir andern alle und auch
Irrtümern unterworfen! weiß ich doch ^älle, in denen Dein
Urteil durchaus ungerecht und unweise war. Und bei Deiner
Gerechtigkeit kann ich nicht schworen, da es doch bekannt ist, daß
kürzlich ein vornehmer Betrüger durch Dich freigesprochen wurde,
nachdem er Dir hundert Goldstücke ins k^aus gesandt hatte."
Die Umstehenden waren erstarrt über diese verwegenen
Worte. Der Kadi aber erhob sich und sagte mit vor Wut zittern-
der Stimme: „Ihr habt es gehört, daß er mich der Ungerechtig-
keit und Bestechlichkeit geziehen hat. Ich aber halte hier im
Namen des Beherrschers der Gläubigen Gericht — und somit
hat er den Kalifen beschimpft. Darauf steht Todesstrafe. An
den Galgen mit ihm!"
Da stürzten sich die Lascher auf Mustapha, rissen ihn enrpor
und wollten ihn zum Saale hinausführen. Aber an der Tür
riß er sich los, warf sich nochmals vor dem Kadi nieder und
rief: „Vergönn' mir noch einmal das Wort, L^err — ich will
alles gestehen."
Die Wäscher wollten ihn aufs neue ergreifen, der Kadi aber
winkte ihnen ab und sagte: „Laßt uns hören, was er noch vor-
zubringen hat!"
Mustapha begann: „k^err, vor kurzem war ich noch ein armer
Wasserverkäufer, wie Dir meine Bekannten bezeugen werden.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Fluch der Wahrheit"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1907
Entstehungsdatum (normiert)
1902 - 1912
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 127.1907, Nr. 3240, S. 100
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg