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T brahini, ein reicher und weiser
qL, Mann, sass eines Abends vor dem
v- Hause und rauchte seine Pfeife,
aIs unter lautem Wehklagen sein Nach-
bar — der arme Assad — gelaufen kam.
„Was ficht Dich an, mein Bruder?“
fragte Ibrahim freundlich.
„O Herr,“ jammerte Assad, „ich
bin der elendeste aller Menschen! Sieh',
se'f vielen Jahren sparte ich und legte
Denar um Denar beiseite, die ich mir
mühsam vom Munde abknauserte —
uur um endlich einen Diamanten er-
werben und besitzen zu können von
so herrlichem Feuer, wie jener ist, den
Du am Finger trägst. Nenn’ es, wenn
Du willst, Torheit, Narrheit, Wahnsinn
aber ich konnte nicht anders. Gestern
nun hatte ich nach namenloser Plage
die Summe endlich zusammengebracht,
die zum Ankauf eines solchen Steines
nötig ist . . . Wie ich aber soeben den
Schatz aus seinem Versteck hervorholen
und mich damit in den Besitz des er-
sehnten Kleinods setzen wollte . .
denk’ Dir, o Herr, da war mein ganzes
Geld verschwunden ... ein elender,
cm ruchloser Dieb hat es mir gestohlen
' mein Leben, meine Daseinsfreude,
mein alles ist vernichtet 1“
„Du tust mir leid, Assad 1“ sprach
Ibrahim ruhig. „Und doch will es mir
scheinen, als habe Allah Dich für Deine
Hoffart gestraft: Was willst D u mit
c>uem so kostbaren Stein —- Du, der
Du doch so oft des Lebens dringendste
Notdurft entbehrst?“
„O!“ rief Assad jähzornig. „Du
hast es ja leicht, Moral zu predigen —
Du, dem nichts abgeht, Du, der alles
besitzt, was das Leben herrlich macht!
• ' Was ich damit wollte? Auch einmal
schmücken wollte ich mich — auch
einmal darum angesehen, auch einmal
deshalb beneidet werden!“
„Gut!“ sagte Ibrahim. „Hier hast
Du meinen Ring! Trage ihn, und
wenn Deine Erwartungen sich erfüllen,
sei er Dein! Du kannst ihn sofort an
Dich nehmen, an Deinen Finger stecken
und Dich damit auf den Weg machen!“ —- Assad wollte erst nicht
an eine solche Grossmut glauben. Als er aber sah, dass es seinem
reichen Nachbarn voller Ernst damit war, ergriff er überglücklich
den Ring, pries den edlen Sinn Ibrahims, steckte das Kleinod an
den Finger und eilte die Gasse entlang, indem er die Hand in der
Duft schwenkte und jeden zur Bewunderung seines Schatzes auf-
forderte. — Aber siehe da —- statt zu staunen, lachte alles und
die Leute riefen: „Schaut doch den eitlen Narren an ! Da hat er
s,ch nun gar einen falschen Stein gekauft, nur um etwas Glitzerndes
zu seinen Lumpen zu haben! Seht, wie er sich brüstet, der Tor!
Vergebens will er auch nur ein Kind glauben machen, dass der
Stein echt sei!“
So tönte es von allen Seiten, und der Spott wurde schliesslich
so arg, dass Assad sich nach Hause flüchten musste und beschämt
und bestürzt wieder bei Ibrahim ankam. Dieser lächelte gütig und
sagte: „Nun, hast Du jetzt den Wert Deines Schmuckes erkannt?“
„O Herr,“ murmelte Assad betrübt, „ich verstehe die Lehre,
die mir Allah durch Dich gab: Jedem das Seine! Wir sollen alle
T brahini, ein reicher und weiser
qL, Mann, sass eines Abends vor dem
v- Hause und rauchte seine Pfeife,
aIs unter lautem Wehklagen sein Nach-
bar — der arme Assad — gelaufen kam.
„Was ficht Dich an, mein Bruder?“
fragte Ibrahim freundlich.
„O Herr,“ jammerte Assad, „ich
bin der elendeste aller Menschen! Sieh',
se'f vielen Jahren sparte ich und legte
Denar um Denar beiseite, die ich mir
mühsam vom Munde abknauserte —
uur um endlich einen Diamanten er-
werben und besitzen zu können von
so herrlichem Feuer, wie jener ist, den
Du am Finger trägst. Nenn’ es, wenn
Du willst, Torheit, Narrheit, Wahnsinn
aber ich konnte nicht anders. Gestern
nun hatte ich nach namenloser Plage
die Summe endlich zusammengebracht,
die zum Ankauf eines solchen Steines
nötig ist . . . Wie ich aber soeben den
Schatz aus seinem Versteck hervorholen
und mich damit in den Besitz des er-
sehnten Kleinods setzen wollte . .
denk’ Dir, o Herr, da war mein ganzes
Geld verschwunden ... ein elender,
cm ruchloser Dieb hat es mir gestohlen
' mein Leben, meine Daseinsfreude,
mein alles ist vernichtet 1“
„Du tust mir leid, Assad 1“ sprach
Ibrahim ruhig. „Und doch will es mir
scheinen, als habe Allah Dich für Deine
Hoffart gestraft: Was willst D u mit
c>uem so kostbaren Stein —- Du, der
Du doch so oft des Lebens dringendste
Notdurft entbehrst?“
„O!“ rief Assad jähzornig. „Du
hast es ja leicht, Moral zu predigen —
Du, dem nichts abgeht, Du, der alles
besitzt, was das Leben herrlich macht!
• ' Was ich damit wollte? Auch einmal
schmücken wollte ich mich — auch
einmal darum angesehen, auch einmal
deshalb beneidet werden!“
„Gut!“ sagte Ibrahim. „Hier hast
Du meinen Ring! Trage ihn, und
wenn Deine Erwartungen sich erfüllen,
sei er Dein! Du kannst ihn sofort an
Dich nehmen, an Deinen Finger stecken
und Dich damit auf den Weg machen!“ —- Assad wollte erst nicht
an eine solche Grossmut glauben. Als er aber sah, dass es seinem
reichen Nachbarn voller Ernst damit war, ergriff er überglücklich
den Ring, pries den edlen Sinn Ibrahims, steckte das Kleinod an
den Finger und eilte die Gasse entlang, indem er die Hand in der
Duft schwenkte und jeden zur Bewunderung seines Schatzes auf-
forderte. — Aber siehe da —- statt zu staunen, lachte alles und
die Leute riefen: „Schaut doch den eitlen Narren an ! Da hat er
s,ch nun gar einen falschen Stein gekauft, nur um etwas Glitzerndes
zu seinen Lumpen zu haben! Seht, wie er sich brüstet, der Tor!
Vergebens will er auch nur ein Kind glauben machen, dass der
Stein echt sei!“
So tönte es von allen Seiten, und der Spott wurde schliesslich
so arg, dass Assad sich nach Hause flüchten musste und beschämt
und bestürzt wieder bei Ibrahim ankam. Dieser lächelte gütig und
sagte: „Nun, hast Du jetzt den Wert Deines Schmuckes erkannt?“
„O Herr,“ murmelte Assad betrübt, „ich verstehe die Lehre,
die mir Allah durch Dich gab: Jedem das Seine! Wir sollen alle
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Ring"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1912
Entstehungsdatum (normiert)
1907 - 1917
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 137.1912, Nr. 3511, S. 227
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg