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fj a in st e r.
sucht längere Zeit in seinem Geldbeutel. Endlich findet er einen
verbeulten Pfennig, der nicht mehr recht kursfähig ist. Er öffnet
die Tür ein wenig. Die Sperrkette nimmt er nicht ab. Bei dem
Spalt reicht er den Pfennig hinaus. Die beiden lassen ihn von
lfand zu lhand marschieren. Dann schauen sie sich an. Hierauf
gehen sie die Treppe hinab.
Herr Hamster wartet noch eine weile. Dann öffnet er die
Tür vorsichtig. Gerade kommen zwei Frauen vom oberen Stock-
werk die Treppe herauf. „Sind sie fort?!" fragt er. — „JaI"
sagen die Frauen. „Denen werden Sie doch nichts gegeben
haben?!" — Er verdreht die Augen. „Ach!" antwortet er.
„wenn man ein weiches Herz hat! Ich kann nun einmal —
besonders jetzt zur Kriegszeit — niemand uubeschcnkt von meiner
Tür gehen lassen. Lieber erschöpf' ich mich. Den letzten Pfennig
geb' ich her. Eher eff ich selber nichts. Man schränkt sich ja
so schon auf das Alleräußerste ein und opfert freudig den letzten
Bissen für die Allgemeinheit!"
wie er die Tür wieder geschlossen hat, lachen die zwei
Frauen. „Glauben Sie dem das?!" sagt die eine. — „Kein
Wort!" entgegnet die andere. „Der ließe lieber die ganze Welt
verhungern, ehe er sich den geringsten Abbruch tät'!" — „Da
haben Sie recht!" bestätigt die erste. „Den ganzen Speicher hat
er dicht voll Fleischwarcn. Speckseite, Wurst und Schinkenkcule
hängt da oben — eins am andern. Ich hab's neulich bemerkt,
>vie ich die Wäsche aufgemacht Hab'. Der wind — wissen Sie —
hat zufällig den Vorhang vor seiner Speicherabteilnng ein wenig
verschoben., da Hab' ich aus Neugier hineingcguckt!"
Die beiden Tagdiebe, die sich unten versteckt gehalten, haben
das ganze Gespräch mit angehört. Sie schauen einander an und
nicken wortlos mit den Köpfen: Zwei Seelen und ein Gedanke. . . .
Einige Tage später erhält Herr Hamster ein feierliches
Lchreibeu. — von der Spitalverwaltung.
„Schon wieder so eine Bettelei!" murmelt er unmutig und
öffnet es gelangweilt.
Aber seine Augen werden von Buchstaben zu Buchstaben
größer und starrer.
„Hochverehrter Herr I" heißt es da. „Tiefgerührt von Ihrem
edlen Spendertum sagen wir Ihnen ein tausendfaches herzliches
Bergelt's Gott für die überreiche Gabe an geräuchertem Fleisch und
ivürsten, die Sie uns zugewendet, wenn Sie die Freude sehen
könnten, mit der unsere Pfleglinge sich täglich an den köstlichen
Bissen erlaben, würden Sie sicher schon darin allein de» reichsten
-ohn für Ihre großartige Liberalität erblicken. In vorzüglicher
Hochachtung ergebenst" . . .
Er greift sich an die Stirn und inurmelt dann: „Spinnen
die oder spinn' ich?I"
Plötzlich befällt ihn eine fürchterliche Unruhe.
„Unsinn I" stöhnt er, springt aber trotzdem auf, greift nach
dem Schlüsselbund und hetzt mit einer ungewohnten Gelenkigkeit
die Treppe hinauf zum Speicher.
„Na ja!" murmelt er dort erleichtert, wie er die Schlösser in
schönster Grdnung siudet. „Ich hab's ja gewußt, daß es bloß
der verspätete Aprilscherz eines ncidigcn Nachbars ist!"
Er öffnet und tritt ein; da prallt er wie vor einem Ge-
spenst zurück.
§eerl — Leer! — Alles leer! Nur abgeschnittene Strick-
enden, geöfinete Kisten, hcrnmgestreutes Papier.. . .
Mühsam wankt er näher. Da sieht er etwas Weißes im
kk?i»de an der Dachluke flattern.
Lin Zettel.
Hastig reißen ihn seine zitternden Hände von dem losen Nagel,
au dem er befestigt ist.
„VerehrtesterI" liest er. „wir haben heut' nach Empfang
des reichen Geldgeschenkes das Gespräch mit angehört, in dem
sich Ihr ganzes selbstloses Gemüt erschloß. Sie „wollen Ihren
letzten Bissen für die Allgemeinheit opfern" I Da Sie aber per-
sönlich offenbar viel zu bescheiden sind, um Ihren menschenfreund-
lichen Plan auszuführen, haben wir für Sie die großen, jeden-
falls nur zu diesem Zweck in der sleischarmen Zeit anfgcspeicherten
Vorräte abgeholt und sie in Ihrem Namen dem Spital hier über-
geben, wo sie im Sinne des edlen Spenders Verwendung finden
werden.
Uns selbst haben wir für unsere Mühewaltung nur einen
kleinen, aber recht saftigen Schinken zurückbehalten, womit wir
Sie bestens einverstanden hoffen.
Indem wir uns freuen, daß wir Ihnen diesen Dienst er-
weisen durften, halten wir uns für weitere ähnliche Fälle gerne
empfohlen. Zwei ehrliche Spitzbuben."
v. iTcmbcn.
fj a in st e r.
sucht längere Zeit in seinem Geldbeutel. Endlich findet er einen
verbeulten Pfennig, der nicht mehr recht kursfähig ist. Er öffnet
die Tür ein wenig. Die Sperrkette nimmt er nicht ab. Bei dem
Spalt reicht er den Pfennig hinaus. Die beiden lassen ihn von
lfand zu lhand marschieren. Dann schauen sie sich an. Hierauf
gehen sie die Treppe hinab.
Herr Hamster wartet noch eine weile. Dann öffnet er die
Tür vorsichtig. Gerade kommen zwei Frauen vom oberen Stock-
werk die Treppe herauf. „Sind sie fort?!" fragt er. — „JaI"
sagen die Frauen. „Denen werden Sie doch nichts gegeben
haben?!" — Er verdreht die Augen. „Ach!" antwortet er.
„wenn man ein weiches Herz hat! Ich kann nun einmal —
besonders jetzt zur Kriegszeit — niemand uubeschcnkt von meiner
Tür gehen lassen. Lieber erschöpf' ich mich. Den letzten Pfennig
geb' ich her. Eher eff ich selber nichts. Man schränkt sich ja
so schon auf das Alleräußerste ein und opfert freudig den letzten
Bissen für die Allgemeinheit!"
wie er die Tür wieder geschlossen hat, lachen die zwei
Frauen. „Glauben Sie dem das?!" sagt die eine. — „Kein
Wort!" entgegnet die andere. „Der ließe lieber die ganze Welt
verhungern, ehe er sich den geringsten Abbruch tät'!" — „Da
haben Sie recht!" bestätigt die erste. „Den ganzen Speicher hat
er dicht voll Fleischwarcn. Speckseite, Wurst und Schinkenkcule
hängt da oben — eins am andern. Ich hab's neulich bemerkt,
>vie ich die Wäsche aufgemacht Hab'. Der wind — wissen Sie —
hat zufällig den Vorhang vor seiner Speicherabteilnng ein wenig
verschoben., da Hab' ich aus Neugier hineingcguckt!"
Die beiden Tagdiebe, die sich unten versteckt gehalten, haben
das ganze Gespräch mit angehört. Sie schauen einander an und
nicken wortlos mit den Köpfen: Zwei Seelen und ein Gedanke. . . .
Einige Tage später erhält Herr Hamster ein feierliches
Lchreibeu. — von der Spitalverwaltung.
„Schon wieder so eine Bettelei!" murmelt er unmutig und
öffnet es gelangweilt.
Aber seine Augen werden von Buchstaben zu Buchstaben
größer und starrer.
„Hochverehrter Herr I" heißt es da. „Tiefgerührt von Ihrem
edlen Spendertum sagen wir Ihnen ein tausendfaches herzliches
Bergelt's Gott für die überreiche Gabe an geräuchertem Fleisch und
ivürsten, die Sie uns zugewendet, wenn Sie die Freude sehen
könnten, mit der unsere Pfleglinge sich täglich an den köstlichen
Bissen erlaben, würden Sie sicher schon darin allein de» reichsten
-ohn für Ihre großartige Liberalität erblicken. In vorzüglicher
Hochachtung ergebenst" . . .
Er greift sich an die Stirn und inurmelt dann: „Spinnen
die oder spinn' ich?I"
Plötzlich befällt ihn eine fürchterliche Unruhe.
„Unsinn I" stöhnt er, springt aber trotzdem auf, greift nach
dem Schlüsselbund und hetzt mit einer ungewohnten Gelenkigkeit
die Treppe hinauf zum Speicher.
„Na ja!" murmelt er dort erleichtert, wie er die Schlösser in
schönster Grdnung siudet. „Ich hab's ja gewußt, daß es bloß
der verspätete Aprilscherz eines ncidigcn Nachbars ist!"
Er öffnet und tritt ein; da prallt er wie vor einem Ge-
spenst zurück.
§eerl — Leer! — Alles leer! Nur abgeschnittene Strick-
enden, geöfinete Kisten, hcrnmgestreutes Papier.. . .
Mühsam wankt er näher. Da sieht er etwas Weißes im
kk?i»de an der Dachluke flattern.
Lin Zettel.
Hastig reißen ihn seine zitternden Hände von dem losen Nagel,
au dem er befestigt ist.
„VerehrtesterI" liest er. „wir haben heut' nach Empfang
des reichen Geldgeschenkes das Gespräch mit angehört, in dem
sich Ihr ganzes selbstloses Gemüt erschloß. Sie „wollen Ihren
letzten Bissen für die Allgemeinheit opfern" I Da Sie aber per-
sönlich offenbar viel zu bescheiden sind, um Ihren menschenfreund-
lichen Plan auszuführen, haben wir für Sie die großen, jeden-
falls nur zu diesem Zweck in der sleischarmen Zeit anfgcspeicherten
Vorräte abgeholt und sie in Ihrem Namen dem Spital hier über-
geben, wo sie im Sinne des edlen Spenders Verwendung finden
werden.
Uns selbst haben wir für unsere Mühewaltung nur einen
kleinen, aber recht saftigen Schinken zurückbehalten, womit wir
Sie bestens einverstanden hoffen.
Indem wir uns freuen, daß wir Ihnen diesen Dienst er-
weisen durften, halten wir uns für weitere ähnliche Fälle gerne
empfohlen. Zwei ehrliche Spitzbuben."
v. iTcmbcn.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der geduldige Freier"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Verschlagwortung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1916
Entstehungsdatum (normiert)
1911 - 1921
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 144.1916, Nr. 3690, S. 193
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg