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Die gloriose Idee.

Satire

von Hait Müller-Mal borg, Dresden-Cotta.

Meine Frau hat so was wie Größenwahn.

Das heißt nur in Bezug auf mich.

Sie wittert nämlich in mir schriftstellerische
Talente von ungeahnter Größe und Lnt-
wicklungsfähigkeit. Eigentlich ist das schön
von meiner Frau- nicht wahr? Aber es kann
auch schrecklich- furchtbar- gräßlich werden.

„Du mußt Dich entfalten," sagt sie mir
nun seit Jahr und Tag- „Heutzutage, wo
es heißt, dem Tüchtigen freie Bahn, ist das
für einen Mann von Deinen geistigen Eigen-
schaften eine Kleinigkeit."

Schön — ich entfaltete michl

Zuerst hetzte Mulli — Mulli ist besagtes
Ehegcspons — meinen steif- und bockbeinigen
Pegasus auf das weite Gefild' der Preis-
ausschreiben für dichterische Reklame.

V ihr seligen Götter! was habe ich da
nicht alles besingen müssen I Jawohl, müssen.

Mulli hatte sämtliche Zeitschriften des
Globus- in denen sie derartige, die Dichteritis
aufpeitsch ende Lock mittel „witterte", abonniert.

Früh um sechs trieb sie mich aus den Federn.
Neben meiner Kaffeetasse lag, fein säuberlich
geschrieben, das Pensum für den jeweiligen
Tag. Und ich griff in die Leier, während
meine Seele bittere Zähren weinte, und be-
sang : Hustenbonbons und Lanzmotore, Schreib-
maschinen und Nasenformer, Proszenium-
Zigaretten und orthozentrische Kneifer, wie
leuchteten Mullis runde Puppenaugen, wenn
ich mit vor Rührung zitternder Stimnie dekla-
mierte: „Bauchwehschmerzen wichen dem
Wundertee I"

Nichts half! Mein Pegasus bekam die
Gehirnstaupe und noch immer wand sich kein
Lorbeerreis um meine haar-entblättertc Stirn.

Da kam sie eines Tages freudestrahlend
in mein Arbeitszimmer. „Ich hab'sl" rief
sie und ihre Stimme jauchzte. „Du mußt Dich
um den Nobelpreis für Literatur bewerben!"

Demütig neigte ich mein geprüftes Haupt.

„Bewerben wir uns!" Ich kaufte ein Gros
Stahlfedern und putzte meine Schreibmaschine.
Und schrieb. — Schrieb morgens und abends,
mittags und mitternachts. Mulli ernährte
mich künstlich. Ich schlief auf dem Schreib-
tisch. Ich schuf ein Werk, gegen das alle
indischen Lieblichkeiten Rabindranath Tagores
Geheul von Werwölfen und Geschrei von
Aasgeiern waren. Mein Verleger Eugen
Zaster zog den linken Mundwinkel herab.

Ich gebar ein Drama, mit dem verglichen
Maxim Gorkis „Nachtasyl" das Geplärr einer
SxreewälderAmme war. Mein Verleger Lugen
Zaster zog den rechten Mundwinkel herab.

Ich raste, tobte, delirierte. Meine Mulli
gab mir sämtliche von mir besungene Be-
ruhigungsmittel zu schlucken. Sie versagten!

Da tat ich den gräßlichen Schwur, keine
Silbe mehr zu schreiben, mich dergestalt an
Welt und Nachwelt zu rächen. Im Vor-
gefühl höhnischen Triumphs warf ich mich

Ein Pfiffikus.

„Warum klettern Sie denn auf den
Baum?" — „Ja, es heißt doch, beim
Gewitter soll man sich liicht unter hohe
Bäume stellen."

aufs Sofa. Fuhr aber mit markerschüttern-
dem Aufschrei empor. I" jenem Teile des
menschlichen Körpers, ohne dessen Vorhanden-
sein keine Reichstags-, Landtags- oder andere
Sitzungen abgehalten werden können, spießte
eine gewaltige Stopfnadel. Ich hatte mich
auf Mullis ftrumpfliche Reparation gesetzt.

Da — da — da-—, hatte nun der

Stich in den Südpol fernwirkend im Nordpol
gezündet oder war es ein Beweis von der
Unrichtigkeit der Behauptung, der Mensch
habe in jenem verachteten Teile keinen Ver-
stand -eine herrliche, glänzende, gloriose

Idee durchzuckte mein Hirn.

Ich stürzte zunr Schreibtisch, goß mit
zitternden Fingern die Tinte in die Schreib-
maschine, setzte mich — beinahe hätte ich
vergessen, das corpus delicti aus der schmer-
zenden Stelle zu ziehen — und schrieb meinen
ersten Kriminalroman:

Der Stich ins Zentrum.

Hrimlnatroman von Hart Massenmörder.

I» glühenden Farben schilderte ich, wie
ein junges, betrogenes Weib den ungetreuen
Gatten mit der Stopfnadel, bestrichen mit
dem tätlichen Gifte der indischen Blindschleiche,
durch hinterlistigen Stich ins Ienseits be-
fördert. Ich will an dieser Stelle dem Leser
nicht verraten, wie Detektiv Holzkopfs geni-
aler Einfall, sämtliche in Frage kommende
eventuelle Täter ebenfalls mit der Stopfnadel
in die bewußte Stelle zu picken, die wahre
Mörderin entdeckte. Er mag diesen unver-
gleichlichen Roman selbst kaufen.

Mein Schicksal hatte sich entschieden. Die
Verleger stürmten meine Sonterrainwohnung.
Ich war gezwungen, ein Schild anzubringcn:
„Sprechzeit für Verleger nur morgens von
ö bis 6." ~Set5t packle mich fast der Größen-
wahn. Ich kaufte niir ein Pfund richtig
gehende Butter und deckte mich mit drei
Zentner Kartoffeln ein.

Ehrungen über Ehrungen wurden mir
zuteil. Großer Kollege Btto Rentier in
Gardclegen, was würdest Du dazu sagen,
wenn Du erführest, daß mir mein Ruhm, weit
über die Meere gehend, durch meinen einzigen
Roman das Kultusministcrportefeuillc von
Klein-Popo eintrug?

„Der blutige Daumen", e. V. begnadigter
Raubmörder, sandte mir ein schmeichelhaftes
Schreiben, worin ich für die uneigennützigen
wertvollen Winke, die ich seinen Mitgliedern
für weitere menschenfreundliche Betätigung
gegeben habe, zum Ehrenmitglied ernannt
wurde. Meine Mulli schwelgt in Wonne. I«,
wenn sie nicht so dahinter gewesen wäre!
G, die Weiber!

Gestern erlebte „Der Stich ins Zentrum"
die tausendste Auflage. Meine Einnahmen
mehren sich von Tag zu Tag, so daß ich be-
stimmt hoffe, demnächst in der Lage zu sein,
die Stabilität der Weltvaluta wieder herzu-
stellen. Mulli hatte recht: Ich war zu Großem
ausersehen! Aber Nobelpreis? Philosophische
werke? Dramatische Dichtungen?

Daß i net lad?! 1

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Ein Pfiffikus"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Stockmann, Hermann
Entstehungsdatum
um 1922
Entstehungsdatum (normiert)
1917 - 1927
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 157.1922, Nr. 4020, S. 51

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Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
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