Fern am Ganges irgendwann
Lebte still ein Klostermann.
Schweigen hieß ihn sein Gelübde,
Schweigen er seit Jahren übte.
Da er nie die Regel brach.
Also nie was Dummes sprach.
Galt er längst in weitem Kreise
Für besonders fromm und weise.
Viele Jünger teilten bald
Seinen heiligen Aufenthalt.
Einen stillern Unterricht
Und dann heim ins Kloster lief.
Schreckensbleich die Jungfrau stand
Und der Vater kam gerannt,
Denn er hatte sehr beklommen
Jenen Weheschrei vernommen.
Ängstlich fing er an zu grübeln:
„Will der Mönch mir Unheil künden?
Weiß er was von künftigen Übeln,
Ahnt er was von Leid und Sünden?
Schweigen übt' er manches Jahr —
Warum hat er's nun gebrochen?
Sicher schweb' ich in Gefahr,
Weil er dieses Wort gesprochen."
And stromabwärts zog er eilig.
Bis er an dem Kloster war.
Wo der Meister still und heilig
Der Weise.
Als im Schweigen gibt es nicht:
Lehrer, Schüler sitzen stumm
And so geht die Zeit herum.
Seines Leibes Kost und Atzung
Macht' ihm keine Sorgenlast,
Denn er lebte nach der Satzung:
„Bettle, was du nötig hastl"
Wieder zog der Wohlbekannte
Einst flußauf am Gangesstrande,
Lielt an jeder milden Pforte,
Gabe heischend ohne Worte.
Und aus einem reichen Laus
Eine Jungfrau trat heraus;
Ihre lilienweißen Lände
Reichten freundlich eine Spende.
Als der Ordensmann so nah
Ihre seltne Schönheit sah,
Schwarze Augen, schwarzes Laar,
Rosenrotes Lippenpaar
And des Leibes Iugendpracht,
Ward sein Lerz von Glut entfacht.
Daß er „Wehe, wehe!" rief
Lenkte seine Iüngerschar.
Auf des Mannes bange Frage
Rach dem Grund der Weheklage
Blickte ernst der fromme Weise,
Sprach geheimnisvoll und leise:
„Ärmster! Dir zum Äerzeleid
Ward die Tochter einst geboren.
Wenn sie einen Gatten freit.
Ist dein ganzer Stamm verloren.
Deine Gattin, deine Söhne,
Ja du selbst wirst elend sterben
Selbigen Tags, wo um die Schöne
Liebend wird ein Jüngling werben.
Von Gebet und Opferspenden
Kannst du keine Rettung hoffen.
Solches Unheil abzuwenden
Steht nur dieser Ausweg offen:
Schließ in einen festen Schrein
Leute noch die Tochter ein,
Lege nach dem Abendbrot
Diesen in ein Ruderboot,
Auf dem Buge hell entfachen
Sollst du einer Fackel Glut,
Stoße dann den Anglücksnachen
In des Ganges gelbe Flut!"
And der Mann von Angst ersaßt.
Eilte heim in großer Last.
Als die Lüfte wehten kühler
Und der Abend lieblich nahte,
Rief der Meister seine Schüler:
„Geht hinunter ans Gestade,
Wartet, bis ein Lichtlein glimmt
163
St»
Lebte still ein Klostermann.
Schweigen hieß ihn sein Gelübde,
Schweigen er seit Jahren übte.
Da er nie die Regel brach.
Also nie was Dummes sprach.
Galt er längst in weitem Kreise
Für besonders fromm und weise.
Viele Jünger teilten bald
Seinen heiligen Aufenthalt.
Einen stillern Unterricht
Und dann heim ins Kloster lief.
Schreckensbleich die Jungfrau stand
Und der Vater kam gerannt,
Denn er hatte sehr beklommen
Jenen Weheschrei vernommen.
Ängstlich fing er an zu grübeln:
„Will der Mönch mir Unheil künden?
Weiß er was von künftigen Übeln,
Ahnt er was von Leid und Sünden?
Schweigen übt' er manches Jahr —
Warum hat er's nun gebrochen?
Sicher schweb' ich in Gefahr,
Weil er dieses Wort gesprochen."
And stromabwärts zog er eilig.
Bis er an dem Kloster war.
Wo der Meister still und heilig
Der Weise.
Als im Schweigen gibt es nicht:
Lehrer, Schüler sitzen stumm
And so geht die Zeit herum.
Seines Leibes Kost und Atzung
Macht' ihm keine Sorgenlast,
Denn er lebte nach der Satzung:
„Bettle, was du nötig hastl"
Wieder zog der Wohlbekannte
Einst flußauf am Gangesstrande,
Lielt an jeder milden Pforte,
Gabe heischend ohne Worte.
Und aus einem reichen Laus
Eine Jungfrau trat heraus;
Ihre lilienweißen Lände
Reichten freundlich eine Spende.
Als der Ordensmann so nah
Ihre seltne Schönheit sah,
Schwarze Augen, schwarzes Laar,
Rosenrotes Lippenpaar
And des Leibes Iugendpracht,
Ward sein Lerz von Glut entfacht.
Daß er „Wehe, wehe!" rief
Lenkte seine Iüngerschar.
Auf des Mannes bange Frage
Rach dem Grund der Weheklage
Blickte ernst der fromme Weise,
Sprach geheimnisvoll und leise:
„Ärmster! Dir zum Äerzeleid
Ward die Tochter einst geboren.
Wenn sie einen Gatten freit.
Ist dein ganzer Stamm verloren.
Deine Gattin, deine Söhne,
Ja du selbst wirst elend sterben
Selbigen Tags, wo um die Schöne
Liebend wird ein Jüngling werben.
Von Gebet und Opferspenden
Kannst du keine Rettung hoffen.
Solches Unheil abzuwenden
Steht nur dieser Ausweg offen:
Schließ in einen festen Schrein
Leute noch die Tochter ein,
Lege nach dem Abendbrot
Diesen in ein Ruderboot,
Auf dem Buge hell entfachen
Sollst du einer Fackel Glut,
Stoße dann den Anglücksnachen
In des Ganges gelbe Flut!"
And der Mann von Angst ersaßt.
Eilte heim in großer Last.
Als die Lüfte wehten kühler
Und der Abend lieblich nahte,
Rief der Meister seine Schüler:
„Geht hinunter ans Gestade,
Wartet, bis ein Lichtlein glimmt
163
St»
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Weise"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1922
Entstehungsdatum (normiert)
1917 - 1927
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 157.1922, Nr. 4034, S. 163
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg