166 Die Vorhänge.
Eine schlankere Gestalt, ein hübscheres Gcsichtchcn, schel-
mischere Wangcngrübchcn, und blauere Augen als die Friederikens
tanzten nie über den Erdboden hin, und Friederike tanzte
immer, und wenn ihr Gemahl der Acceffist Wartnnr noch so
verdüstert vom Bureau heimkam und sein Weibchen ihm lächelnd
cntgcgcnhüpfte, dann hätte er der Fröhlichen nichts abschlagen
können, auch nicht daö Kostbarste in der weiten Welt — aus-
genommen, wenn cs sein Budget überstiegen hätte, welches
sich am ersten jedes Monates auf dreißig Gulden, am fünf-
zehnten aber bereits auf zwei Gulden Schulden beim Viktualien-
händler zu erstrecken pflegte.
Es war aber an einem achtzehnten und der Viktualien-
händler schon seit vier Tagen eine politische Nothwendigkcit,
als Wartnnr beim Nachhausekommen nicht von dem glückcshci-
tcrn Lächeln Friederikens begrüßt ward. Das Weibchen saß da,
den Rücken und den niedlichsten aller geflochtenen Zöpfe dem
Fenster zugekehrt und seufzte. — Das Seufzen der Weiber
ist aber die Lehre der Ehemänner. —
— „Fehlt Dir Etwas Friederike?" — frug Wartnnr,
mit jener sentimentalen Stimme, wie sie ihm stets in der
zweiten Hälfte des Monats eigen war.
Friederike schwieg.
— „Hat, — was Dir fehlt der Viktualienhändler?"
Friederike schwieg um noch zwei ganze Zukunfts-Musik-
Oktaven tiefer.
— „Nicht? nun dann ist cs einerlei" ■— sprach Wart-
nur dumpf — „und Du kannst es verlangen, auch wenn es
selbst ein chinesischer Shawl wäre!"
— „Ach!" seufzte Friederike händeringend — „uns fehlen
Vorhänge!"
— „Vorhänge!" rief Wartnnr verwundert aus — „schmer-
zen Dich etwa die Augen?"
— „Ja wohl, aber nicht die eigenen, sondern diejenigen
unseres neuen Nachbars" — crwicdcrtc Friederike, indem sie
ihrem Manne pantomimisch andeutetc, zum Fenster zu treten.
Dort schauten demselben von gegenüber ein paar aufgc-
risscne Augen entgegen, welche in einem freundlich grinsen-
den Angesicht saßen, das dicht an die Scheiben gepreßt einem
Natur-Sclbstdrucke glich.
— „Und so starrt mir diese ausgcbögelte Physiognomie
feit sechs Stunden unabläßig ins Zimmer, so daß ich mich
ängstlich bis an diese Ecke geflüchtet habe — und wie soll
das erst Abends werden, wo man bei angezündetcr Kerze jede
Bewegung sicht!"
Wartnur versank in stilles vcrzwciflungsvollcs Brüten;
— allein nach wenigen Minuten eines trostlosen Schweigens
stürzte er mit den Worten: „bereite sofort einen Kaffee —
einen rettenden Kaffee!" zur Thüre hinaus und geraden Wegs
zur Tante Eulalia.
• Was Miß Pastrana's Angesicht im Convexen leistet,
das leistete Tante Eulalia's Antlitz im Concaven; um den
Hals stets einen weißen runden Krage» geschlungen, glich das
gelbe Gesicht dem Halbmond aus einem Präscntirteller. Eula-
lia, welche stets in Diminutiven sprach, war wohlhabend aber
geizig und die einzigen Dinge, welche sie gerne mit Jemanden
gctheilt hätte, ihr fünfundfünfzigjähriges „Hcrzerl" und „Han-
derl" hatte sie bis jetzt vergebens zu „vcrschenkcln" gesucht.
Sie dürstete nach einem Lebensgefährten, hungerte aber nach
Gratis-Mahlzciten und erorangcte — erröthen war in Folge
des Grundtones unmöglich — daher vor Freude als Wartnur
erklärte, Tante Eulalia zu einer Kaffee-Parthie in seine Woh-
nung führen zu wollen.
Auf dem Wege sprach er viel von seinem neuen Nach-
barn „dem polnischen Grafen Starrblickinsky, welcher Starost
in Starrziczcw sei." —
Der Kaffee dampfte, Friederike seufzte, der Nachbar starrte,
als Wartnur und Eulalia eintraten. Der Tisch wurde an das
Fenster herangerückt und Tante dem Starosten gerade gegen-
über postirt, schleuderte demselben sofort einen Liebcsblick von
zehn Grad Rcaumur hinüber.
Starrblickinsky schloß entsetzt die Augen, schnellte eine
Spanne weit von der Scheibe zurück und blieb zwei Minuten
regungslos; — allein er erholte sich wieder und machte, die
Götter neuerdings versuchend, eine Bewegung vorwärts. Tante
Eulalia sandte den zweiten Liebcsblick von fünfzehn Grad
Rcaumur hinüber, er war noch überdieß von einem heraus-
fordernden Lächeln begleitet. Darauf hörte man einen lang
gezogenen Schrei des Starosten, sein Haar sträubte sich, er
verschwand, und wenige Augenblicke nachher sah man ihn
händeringend über die Straße stürzen.
Als Wartnur am andern Morgen erwachte, fiel sein er-
ster Blick auf das Fenster des Nachbars: „Friederike — ries
er — „die Tante hat geholfen, überzeuge Dich selbst."
Der Nachbar hatte Eulalia für die bleibende Inwohnerin
von Friederikens Zimmer gehalten, und ein weiteres Kund-
geben interessanter Wünsche fürchtend, hatte nun er die
Eine schlankere Gestalt, ein hübscheres Gcsichtchcn, schel-
mischere Wangcngrübchcn, und blauere Augen als die Friederikens
tanzten nie über den Erdboden hin, und Friederike tanzte
immer, und wenn ihr Gemahl der Acceffist Wartnnr noch so
verdüstert vom Bureau heimkam und sein Weibchen ihm lächelnd
cntgcgcnhüpfte, dann hätte er der Fröhlichen nichts abschlagen
können, auch nicht daö Kostbarste in der weiten Welt — aus-
genommen, wenn cs sein Budget überstiegen hätte, welches
sich am ersten jedes Monates auf dreißig Gulden, am fünf-
zehnten aber bereits auf zwei Gulden Schulden beim Viktualien-
händler zu erstrecken pflegte.
Es war aber an einem achtzehnten und der Viktualien-
händler schon seit vier Tagen eine politische Nothwendigkcit,
als Wartnnr beim Nachhausekommen nicht von dem glückcshci-
tcrn Lächeln Friederikens begrüßt ward. Das Weibchen saß da,
den Rücken und den niedlichsten aller geflochtenen Zöpfe dem
Fenster zugekehrt und seufzte. — Das Seufzen der Weiber
ist aber die Lehre der Ehemänner. —
— „Fehlt Dir Etwas Friederike?" — frug Wartnnr,
mit jener sentimentalen Stimme, wie sie ihm stets in der
zweiten Hälfte des Monats eigen war.
Friederike schwieg.
— „Hat, — was Dir fehlt der Viktualienhändler?"
Friederike schwieg um noch zwei ganze Zukunfts-Musik-
Oktaven tiefer.
— „Nicht? nun dann ist cs einerlei" ■— sprach Wart-
nur dumpf — „und Du kannst es verlangen, auch wenn es
selbst ein chinesischer Shawl wäre!"
— „Ach!" seufzte Friederike händeringend — „uns fehlen
Vorhänge!"
— „Vorhänge!" rief Wartnnr verwundert aus — „schmer-
zen Dich etwa die Augen?"
— „Ja wohl, aber nicht die eigenen, sondern diejenigen
unseres neuen Nachbars" — crwicdcrtc Friederike, indem sie
ihrem Manne pantomimisch andeutetc, zum Fenster zu treten.
Dort schauten demselben von gegenüber ein paar aufgc-
risscne Augen entgegen, welche in einem freundlich grinsen-
den Angesicht saßen, das dicht an die Scheiben gepreßt einem
Natur-Sclbstdrucke glich.
— „Und so starrt mir diese ausgcbögelte Physiognomie
feit sechs Stunden unabläßig ins Zimmer, so daß ich mich
ängstlich bis an diese Ecke geflüchtet habe — und wie soll
das erst Abends werden, wo man bei angezündetcr Kerze jede
Bewegung sicht!"
Wartnur versank in stilles vcrzwciflungsvollcs Brüten;
— allein nach wenigen Minuten eines trostlosen Schweigens
stürzte er mit den Worten: „bereite sofort einen Kaffee —
einen rettenden Kaffee!" zur Thüre hinaus und geraden Wegs
zur Tante Eulalia.
• Was Miß Pastrana's Angesicht im Convexen leistet,
das leistete Tante Eulalia's Antlitz im Concaven; um den
Hals stets einen weißen runden Krage» geschlungen, glich das
gelbe Gesicht dem Halbmond aus einem Präscntirteller. Eula-
lia, welche stets in Diminutiven sprach, war wohlhabend aber
geizig und die einzigen Dinge, welche sie gerne mit Jemanden
gctheilt hätte, ihr fünfundfünfzigjähriges „Hcrzerl" und „Han-
derl" hatte sie bis jetzt vergebens zu „vcrschenkcln" gesucht.
Sie dürstete nach einem Lebensgefährten, hungerte aber nach
Gratis-Mahlzciten und erorangcte — erröthen war in Folge
des Grundtones unmöglich — daher vor Freude als Wartnur
erklärte, Tante Eulalia zu einer Kaffee-Parthie in seine Woh-
nung führen zu wollen.
Auf dem Wege sprach er viel von seinem neuen Nach-
barn „dem polnischen Grafen Starrblickinsky, welcher Starost
in Starrziczcw sei." —
Der Kaffee dampfte, Friederike seufzte, der Nachbar starrte,
als Wartnur und Eulalia eintraten. Der Tisch wurde an das
Fenster herangerückt und Tante dem Starosten gerade gegen-
über postirt, schleuderte demselben sofort einen Liebcsblick von
zehn Grad Rcaumur hinüber.
Starrblickinsky schloß entsetzt die Augen, schnellte eine
Spanne weit von der Scheibe zurück und blieb zwei Minuten
regungslos; — allein er erholte sich wieder und machte, die
Götter neuerdings versuchend, eine Bewegung vorwärts. Tante
Eulalia sandte den zweiten Liebcsblick von fünfzehn Grad
Rcaumur hinüber, er war noch überdieß von einem heraus-
fordernden Lächeln begleitet. Darauf hörte man einen lang
gezogenen Schrei des Starosten, sein Haar sträubte sich, er
verschwand, und wenige Augenblicke nachher sah man ihn
händeringend über die Straße stürzen.
Als Wartnur am andern Morgen erwachte, fiel sein er-
ster Blick auf das Fenster des Nachbars: „Friederike — ries
er — „die Tante hat geholfen, überzeuge Dich selbst."
Der Nachbar hatte Eulalia für die bleibende Inwohnerin
von Friederikens Zimmer gehalten, und ein weiteres Kund-
geben interessanter Wünsche fürchtend, hatte nun er die
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Vorhänge"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 29.1858, Nr. 699, S. 166
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg