Sentimentale Briefe.
Doch mochte sic auch noch so dringen,
Er könnt' cs nicht zn Ende bringen.
Und größer immer ward das Weib,
Und höher immer wuchs ihr Leib;
Da gab's kein Säumen und kein Passen,
Er mußte seinen Schoppen lassen.
Zu enge ward dem Zeug das Haus,
Er trug ihn auf das Feld hinaus.
Und setzt' sich hin und schneiderte,
Die Zeit er nicht verschleuderte.
Auch Knecht' und Mägde nun sich rühren.
Da sie des Herren Auge spüren.
Er hatt' nicht Ruhe Tag und Nacht,
Bis er es fertig doch gebracht.
Und als er es ihr heim getragen,
Da sagte sie mit Wohlbehagen:
„Nun kann ich wieder mich lassen sehn,
Und wieder unter die Leute gehn.
Zum Danke aber will ich eben
Noch einen guten Rath dir geben:
Lass' Würfel, Wein und Kartenspiel,
Und kannegießere nicht viel.
Du sollst dem Vaterland zu Ehren
Wohl hie und da den Seckel leeren,
Und wenn ein Feind heran ihm zieht.
Stell' deine Buben in das Glied. —
Doch eh' du denkst an Rufs' und Türken,
Sieh' lieber auf ein redlich Wirken,
Und sorge emsig für dein Hans,
Dann bleib' ich dir auf ewig aus.
Beherzige die alte Lehre:
„Zuerst vor deiner Thüre kehre."
Die Politik, bedenk' es Mann,
Fängt immer bei sich selber an."
_ Adolf Sternberg.
Sentimentale Briefe.
(Schluß.)
Bald entschlummerten wir süß, und der würzige Morgen
rief uns zum Dampfbootc, das sich auf den grünen Wellen
schaukelte. Um sieben Uhr fuhren wir ab, und ich warf meine
letzten Blicke auf die sonnbeglänzteu Firnen der himmelstar-
renden Gletscher. Wir rauschten dahin, — ein königliches Ge-
fühl schwoll meinen Busen, als der stolze Strom zn meinen
Äüßen bezwungen knirschte. Mein ganzes Wesen ward zum
Strome, der sich in poetischer Fluth über Landschaft und Zeit
ergoß. Mein guter Vater aß um acht Uhr Morgens bereits
wieder ein „Schnitzel", was meine Seele mit Indignation
erfüllte, doch siegte bald meine kindliche Liebe, und die frische
Luft machte mir selbst Appetit, so daß ich eine Viertelstunde
später einen boeuk ä la mode stille genoß. In Pöchlarn be-
trachtete ich das schloß, wo Markgraf Rüdiger die Nibelungen
bewirthete, und die Gräfin sammt der Comtcsse sich so edel-
männisch (ich wollte gern das Wort ladylike anwenden, wenn
19
es besser paßte) benahm. Ach diese historischen Erinnerungen
eines großen Volkes sind doch so interessant, und tragen so
sehr zur Entfaltung des Gemüthes bei. Denke Dir, mit
welchem Stolze ich der Mrs. Smith unter den Ruinen des
vorüberscgelndcn Schlosses Dürrenstein die Geschichte des dort
gefangenen so bösen Richard Coeur-de-Lion erzählte. Mein
Herz schwoll von Patriotismus, aber die Sonne brannte so
fürchterlich, daß ich endlich für meinen Teint fürchtete, und
ich mir vornahm, bis auf den Abend auch das erhebendste
Gefühl zu vertagen. Ich eilte in die Damenkajüte und ent-
schlief. Als ich erwachte, stand das Dampfboot still, und ich
erfuhr, daß wir in Wien angekommen seien. Ich nahm von
Mrs. Smith einen ziemlich kühlen Abschied und rollte bald
an der Seite meines Vaters in einem Fiaker durch die an-
fangs sehr ländlichen Straßen der alten deutschen Kaiserstadt.
O Leome! Wie ward mir! Wer cs nicht erlebt, kann es
unmöglich begreifen. Meine Augen blickten gleichsam in ein
fortwährend wechselndes Kaleidoskop, so daß mir völlig zu
schwindeln begann, und meine Ohren litten unter dem ncrven-
erschütternden Eindrücke eines immer gesteigerten Wagcngcras-
scls und Menschengetümmels. Wie still ist das so schöne
München gegen diese Weltstadt! Dort kann man sich vor je-
dem herrlichen Bau einer hcrzvcredelnden poetischen Ergießung
hingeben, während man in Wien binnen fünf Minuten 20 Mal
3*
Doch mochte sic auch noch so dringen,
Er könnt' cs nicht zn Ende bringen.
Und größer immer ward das Weib,
Und höher immer wuchs ihr Leib;
Da gab's kein Säumen und kein Passen,
Er mußte seinen Schoppen lassen.
Zu enge ward dem Zeug das Haus,
Er trug ihn auf das Feld hinaus.
Und setzt' sich hin und schneiderte,
Die Zeit er nicht verschleuderte.
Auch Knecht' und Mägde nun sich rühren.
Da sie des Herren Auge spüren.
Er hatt' nicht Ruhe Tag und Nacht,
Bis er es fertig doch gebracht.
Und als er es ihr heim getragen,
Da sagte sie mit Wohlbehagen:
„Nun kann ich wieder mich lassen sehn,
Und wieder unter die Leute gehn.
Zum Danke aber will ich eben
Noch einen guten Rath dir geben:
Lass' Würfel, Wein und Kartenspiel,
Und kannegießere nicht viel.
Du sollst dem Vaterland zu Ehren
Wohl hie und da den Seckel leeren,
Und wenn ein Feind heran ihm zieht.
Stell' deine Buben in das Glied. —
Doch eh' du denkst an Rufs' und Türken,
Sieh' lieber auf ein redlich Wirken,
Und sorge emsig für dein Hans,
Dann bleib' ich dir auf ewig aus.
Beherzige die alte Lehre:
„Zuerst vor deiner Thüre kehre."
Die Politik, bedenk' es Mann,
Fängt immer bei sich selber an."
_ Adolf Sternberg.
Sentimentale Briefe.
(Schluß.)
Bald entschlummerten wir süß, und der würzige Morgen
rief uns zum Dampfbootc, das sich auf den grünen Wellen
schaukelte. Um sieben Uhr fuhren wir ab, und ich warf meine
letzten Blicke auf die sonnbeglänzteu Firnen der himmelstar-
renden Gletscher. Wir rauschten dahin, — ein königliches Ge-
fühl schwoll meinen Busen, als der stolze Strom zn meinen
Äüßen bezwungen knirschte. Mein ganzes Wesen ward zum
Strome, der sich in poetischer Fluth über Landschaft und Zeit
ergoß. Mein guter Vater aß um acht Uhr Morgens bereits
wieder ein „Schnitzel", was meine Seele mit Indignation
erfüllte, doch siegte bald meine kindliche Liebe, und die frische
Luft machte mir selbst Appetit, so daß ich eine Viertelstunde
später einen boeuk ä la mode stille genoß. In Pöchlarn be-
trachtete ich das schloß, wo Markgraf Rüdiger die Nibelungen
bewirthete, und die Gräfin sammt der Comtcsse sich so edel-
männisch (ich wollte gern das Wort ladylike anwenden, wenn
19
es besser paßte) benahm. Ach diese historischen Erinnerungen
eines großen Volkes sind doch so interessant, und tragen so
sehr zur Entfaltung des Gemüthes bei. Denke Dir, mit
welchem Stolze ich der Mrs. Smith unter den Ruinen des
vorüberscgelndcn Schlosses Dürrenstein die Geschichte des dort
gefangenen so bösen Richard Coeur-de-Lion erzählte. Mein
Herz schwoll von Patriotismus, aber die Sonne brannte so
fürchterlich, daß ich endlich für meinen Teint fürchtete, und
ich mir vornahm, bis auf den Abend auch das erhebendste
Gefühl zu vertagen. Ich eilte in die Damenkajüte und ent-
schlief. Als ich erwachte, stand das Dampfboot still, und ich
erfuhr, daß wir in Wien angekommen seien. Ich nahm von
Mrs. Smith einen ziemlich kühlen Abschied und rollte bald
an der Seite meines Vaters in einem Fiaker durch die an-
fangs sehr ländlichen Straßen der alten deutschen Kaiserstadt.
O Leome! Wie ward mir! Wer cs nicht erlebt, kann es
unmöglich begreifen. Meine Augen blickten gleichsam in ein
fortwährend wechselndes Kaleidoskop, so daß mir völlig zu
schwindeln begann, und meine Ohren litten unter dem ncrven-
erschütternden Eindrücke eines immer gesteigerten Wagcngcras-
scls und Menschengetümmels. Wie still ist das so schöne
München gegen diese Weltstadt! Dort kann man sich vor je-
dem herrlichen Bau einer hcrzvcredelnden poetischen Ergießung
hingeben, während man in Wien binnen fünf Minuten 20 Mal
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Sentimentale Briefe"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 36.1862, Nr. 863, S. 19
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg