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ZU RUDOLF JETTMARS RADIRUNG.

Dem vorliegenden Hefte
gereicht eine Originalradirung
des phantasievollen Jettmar zur
besonderen Zierde. Das schöne
Blatt stellt dar, wie in unirdischer
Gegend, wo das Licht mit der
Finsternis kämpft, ein über-
menschliches Weib einen Fels-
block zur Stelle wälzt, während
ihr riesiger Gefährte früher Her-
beigeschafftes mit mächtiger
Keule feststampft. Die Anregung
zu diesem Bilde wurde dem
Künstler durch den zehnten
Gesang von Miltons Verlorenem
Paradies, wo es heisst, dass zur
Zeit, da Satan auf Erden das
erste Menschenpaar versucht,
die Sünde mit ihrem Sohne und
Bruder, dem Tode, von der Hölle
durch die grausige Nacht des
Chaos eine Brücke zur Erde
schlägt. Was der Künstler auf
diesem Blatte geschildert hat.
spinnt er auf einer zweiten
Radirung weiter, welche hier
verkleinert wiedergegeben ist:
die Brücke ist vollendet, und ein
unendlicher Menschenstrom er-

giesst sich über sie in das Reich des Satans, der sich, auf dem Gestein hockend, an dem
Gedränge zu seinen Füssen nicht sattsehen kann, während die Sünde in siegesstolzer Ruhe
neben ihm lehnt. Ein drittes Blatt, das aber über den gezeichneten Entwurf nicht hinaus-
gedieh, sollte die kleine Folge beschliessen: das höllische Paar versinkt in die ewige Nacht
und über ihm triumphirt, vom himmlischen Lichte umflossen, ein Engel.

Die beiden Blätter, welche schon 1 899 entstanden sind, legen beredtes Zeugnis von der kraft-
vollen Eigenart Jettmars ab, die sich der Mode nicht bequemen will und sich still und abseits zu
immer schönerer Blüte entfaltet. Die grosse Menge des Wiener Püblicums weiss mit dieser ernsten,
eigenwilligen Künstlerphantasie nichts anzufangen und geht einstweilen achselzuckend an ihr
vorüber; aber schon ist Jettmars Ruf ins Ausland gedrungen, und hallt ihn nur erst dieses vernehm-
lich wider, dann wird vielleicht auch die Heimat auf ihn hören und dem Künstler geben, was ihm
gebürt. A. W.
 
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