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JACOB VAN RUYSDAEL.

Die moderne Kunstgeschichtsforschung lehrt, dass man bei den holländischen Malern des
XVII. Jahrhunderts zum erstenmale in der Kunstgeschichte einer wirklichen Landschaftsmalerei
begegnet; und sofern man nur dem modernen Geschmack das Recht einräumt, über alle
verflossenen Kunstperioden souverän abzuurtheilen, wird sich auch gegen jene Lehre nichts
Triftiges einwenden lassen. Was die moderne Landschaftsmalerei sich zur Aufgabe gemacht
hat — die Verbindung aller in einem Landschaftsbilde vereinigten Einzeldinge, auf und über der
Erde, zu einem einheitlichen Ganzen vermittels des zwischen den Einzeldingen vorhandenen
Luftraums — das haben in der That zuerst die Holländer der Barockzeit in klarer und bewusster
Weise angestrebt. Die Einheit der Bildwirkung suchten sie nicht mehr, wie die früheren Stil-
perioden, durch die Concordanz der an die tastbare Begrenztheit der Einzeldinge gemahnenden
Umrisslinien (an zweiter Stelle der jenen getreu folgenden Localfarben), sondern durch eine
Harmonie der auf rein optischen Reizen beruhenden farbigen Erscheinung zu erlangen. Der
Luftraum, den man jetzt nebst den Einzeldingen mitzumalen hatte, ist eben etwas durch die
Organe des Tastsinnes nicht zu Fassendes, und er lässt sich im Bilde nur in der Weise wieder-
geben, dass den Einzeldingen, vor und zwischen denen der Luftraum existirt, der Charakter
des Tastbaren, Greifbaren, Objectiv-körperlichen benommen wird und sich dieselben bloss als
optische Reize, Farbenflecken verrathen, die sich erst der aus dem Erfahrungs-Bewusstsein
schöpfende Gedanke des Beschauers zu bestimmten Einzeldingen ergänzt. Optische Reize sind
aber in weit höherem Grade subjectiven Schwankungen ausgesetzt, als die Reize des Tastsinns,
selbst wenn diese, wie in der Malerei nothwendigermassen geschieht, erst auf dem Umwege über
den Gesichtssinn erweckt werden. Daraus ergibt sich für die holländische und die moderne
Landschaftsmalerei übereinstimmend die Nothwendigkeit einer subjectiven Auffassung der
Einzeldinge, an Stelle der objectiveren Auffassung namentlich der Antike und theilweise auch
noch der Renaissance: die Orientirung geht jetzt nicht mehr von den Dingen aus, sondern von
dem betrachtenden Subjecte, was namentlich in der einheitlichen Linien- und Luftperspective von
einem einzigen bestimmten Augenpunkte zum Ausdrucke gelangt.

In allen den genannten Beziehungen ist nun der Unterschied zwischen holländischen und
modernen Landschaftsbildern, wesentlich bloss als ein quantitativer zu bezeichnen: gegen gewisse
Zeichenfehler und ßeleuchtungsmängel, die selbst bei den gefeiertsten holländischen Meistern
noch anstandslos passiren durften, sind wir heute viel empfindlicher geworden. Worin aber die
holländische und die moderne Landschaft grundsätzlich auseinandergehen, das ist die Auffassung
und die derselben entsprechende Wiedergabe des Luftraums.
 
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