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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 24.1913

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Mhe, Herbert: Die neue Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.4432#0240

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FARBIGE LINOLEUMSCHNITTE VON MORIZ MELZER

233


□ Er stellt den Stil, das heißt den Abstraktionsdrang als
»die Folge einer großen inneren Beunruhigung des Men-
schen durch die Erscheinungen der Außenwelt« dar und
sagt: ». . . wir nahmen als Ausgangspunkt des künstleri-
schen Schaffenstriebes den Drang, angesichts des ver-
wirrenden und beunruhigenden Wechselspiels der Außen-
welt Ruhepunkte, Ausruhmöglichkeiten zu schaffen, Not-
wendigkeiten, in deren Betrachtung der von der Willkür
der Wahrnehmungen erschöpfte Geist haltmachen konnte.
Dieser Drang mußte seine erste Befriedigung in der reinen
geometrischen Abstraktion finden, welche, von allem äußeren
Weltzusammenhang erlöst, eine Beglückung darstellt, die
ihre geheimnisvolle Erklärung nicht im Intellekt des Be-
trachtenden, sondern in den tiefsten Wurzeln seiner kör-
perlich-seelischen Konstitution findet. Ruhe und Beglückung
konnte nur da eintreten, wo man einem Absoluten gegen-
überstand. Infolge des tiefinnersten Zusammenhanges aller
Lebensdinge ist nun diese geometrische Form auch das
Bildungsgesetz der kristallinisch-anorganischen Materie.« □
□ ». . . Die ideale Forderung aufstellen, daß in unserem
menschlichen Organismus das Bildungsgesetz der anorgani-
schen Natur noch wie eine leise Erinnerung nachklinge.« —
o Wendet man das auf unseren vorliegenden Fall an, so
ergibt sich eine Lösung mit scharf aufhellender Wirkung!
Der Impressionismus mit seiner Unendlichkeit der Eindrücke
des Objekts rief in den Seelen der Künstler jene Furcht
der Erscheinung der Außenwelt hervor, die sie durch Ab-
straktion, durch Stil, durch den Kubismus nun antithetisch
zu überwinden suchen. □
□ Damit haben wir die Begründung, die historische und
psychologische Entwickelung des Problems der neuen
Richtung der Kunst objektiv, sozusagen wissenschaftlich
gefaßt. Es zeigt sich, daß der Expressionismus keineswegs
eine zufällige Strömung ist, wie es oft angenommen wird,

daß die Motivierung seines Auftretens gewichtig genug ist,
ihn zu betrachten, vor allem zu verfolgen und womöglich
auch das geringste Gute hilfreich zu unterstützen. Eine
nähere, kritischere Betrachtung, als diese rein objektiv
evolutionistische es ist, wird zu mannigfaltigeren Urteilen
gelangen müssen. □
n Denn nun wird es sich nicht mehr um leidenschafts-
lose, sachliche Objektivität handeln (obgleich, wie uns
wohl bewußt sein muß, auch diese letzthin im Subjektiven be-
ruht, da es Objektivität an sich als Eigenschaft des mensch-
lichen Geistes nicht gibt), wird es sich nicht mehr um eine
Feststellung der historischen Entwicklung, eine gelassene
Interpretation ihrer Erscheinung und eine Begründung ihrer
Psychologie drehen können. Der Glaube, die persönliche
Anschauung, die Kritik, die sich auf dem Reinmenschlichen
stützen muß, soll sie lebendig und fruchtbar sein, darf
sich nicht zurückhalten. n
□ Die leidenschaftlichen Verkünder des Expressionismus
wollen nichts Geringeres, als den Impressionismus über-
winden. Nach dem Grade ihres revolutionistischen Ge-
fühls nehmen sie zu ihm Stellung, die alle Varianten, von
der ruhigen Arbeit bis zur närrisch überhitzten Schmähung,
durchläuft. Um diese Fanatiker, die meinen, mangelnde
Disziplin sei in der Kunst, in den Ansichten und Worten,
die sie betreffen, erlaubt, das zügelloseste Gebühren be-
weise ein Genie, das ohne weiteres den Impressionismus,
ohne den diese »Großen« der Imagination doch nicht
denkbar wären, über den Haufen würfe, — um diese Re-
volutionäre, die der Ansicht sind, daß die weiteste Über-
treibung der Antithese, von der schon gesprochen wurde,
ihr nützlich und hilfreich sein wird, kann es sich nicht
handeln! Das ist etwa jenem Volk der »Hallen« ver-
gleichbar, das in den französischen Revolutionen ein so
schmachvolles, und von den eigenen Führern verachtetes
 
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