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Prinzhorn, Hans
Bildnerei der Gefangenen: Studie zur bildnerischen Gestaltung Ungeübter — Berlin, 1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.11508#0025
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B. DIE BILDWERKE.

Gestaltungspsychologisches zur Bildnerei der Gefangenen13.

Kritzeleien im engeren Sinne, das heißt rein spielerisch entstandene un-
geordnete, objektfreie Zeichnungen, wie sie in der Bildnerei der Geistes-
kranken eine erhebliche Rolle spielen, kommen in dem Gefangenenmaterial
sehr wenig vor. Ein äußerlicher praktischer Grund dafür liegt nahe und
und wirkt gewiß mit: Die Beschaffung von Papier und Zeichenmaterial ist so
schwierig, daß man sich hütet, es einfach spielerisch zu vertun. Ob auf den
Zellenwänden mehr vcn solchen freien motorischen Ergüssen Platz gefunden
hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Keinesfalls könnte aber aus dem Fehlen
dieser Zeichnungsart etwa der Schluß gezogen werden, für den Geisteskranken
seien Kritzeleien unterscheidend charakteristisch. Sie müssen vielmehr als
motorische Entladung in einem Zustande vollkommener Aufhebung jeder
Aufmerksamkeit, Absicht, ja selbst Vorstellungsrichtung aufgefaßt werden.
Nur daß im äußersten Falle jeder Rhythmus verlorenzugehen scheint, zwingt
zu der neuen Fragestellung, ob man etwa darin ein untrügliches Zeichen
erblicken könne, daß nun die letzte Grenze des noch dem Gesunden Zu-
gänglichen überschritten sei. Die Klärung dieser subtilen Fragen verlangt
ein großes Material solcher Kritzeleien von Kranken und Gesunden. Dies
läßt sich ungewöhnlich schwer beschaffen, weil nur spontan Entstandenes in
Frage kommt, wobei aber zugleich der seelische Zustand des Zeichners gut
beobachtet werden muß.

Wir müssen also das Problem der einfachsten Kritzelei nochmal auf
sich beruhen lassen. Ohne feinere Übergänge (wie bei den Zeichnungen der
Geisteskranken) können wir unser Material nach drei Haupttendenzen ordnen:
reine Abbildung von Sachen und Begebenheiten, Ornament und Dekoration
(Ordnungstendenz), allegorisch-symbolische Tendenz.

1. Reine Abbildung von Sachen und Begebenheiten.

Wenn der Gefangene sich in realistisch-sachlicher Einstellung mit der
Umwelt beschäftigt, sie sich rein anschaulich vergegenwärtigt und sie bildhaft

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