Cod. Pal. germ. 365: 'Ortnit' und 'Wolfdietrich'

Textbeginn Wolfdietrich mit roter Lombarde (Cpg 365, fol. 36r)

Die Handschrift Cod. Pal. germ. 365 enthält die beiden Werke "Ortnit" und "Wolfdietrich", wobei der "Wolfdietrich" eine Fortsetzung des "Ortnit" darstellt. Im Cod. Pal. germ. 365 wird der "Wolfdietrich" dann auch unmittelbar im Anschluß an den "Ortnit" überliefert. Nur eine einfache, rote Lombarde trennt die beiden Werke voneinander. Autoren beider Werke sind nicht bekannt. Einige inhaltliche Details verweisen auf den Kreuzzug Kaiser Friedrichs II. von 1217 gegen Sultan Malek al Adel, so daß man die Entstehung der beiden Heldenepen um 1230 ansetzt. Vermutlich kannten der oder die Autoren aber auch Teile der Lombardei, speziell die Region um Garda.

Der "Ortnit"

Der "Ortnit" gilt als sogenanntes Brautwerbungsepos. Der jugendliche, vor Kraft strotzende Held Ortnit, König von Lamparten, beabsichtigt, die Tochter des Heidenkönigs Machorel zur Frau zu nehmen. Aber Machorel läßt alle Freier seiner Tochter töten. Ortnit gelingt es dennoch, mit Hilfe seines Vaters, des Zwerges Alberich, und seines Onkels, des Reußenkönigs Iljas, die Hauptstadt Machorels zu erobern und die Königstochter zu entführen. Sie läßt sich taufen und heiratet Ortnit. Der Sarazenenkönig schickt dem jungen Paar daraufhin zwei Eier, aus denen Drachen schlüpfen. Ortnit zieht zwar aus, um die das Land verwüstenden Ungeheuer zu besiegen, fällt ihnen jedoch im Schlaf zum Opfer. Erst Wolfdietrich, einem Vorfahren Dietrichs von Bern, gelingt es, die Drachen zu bezwingen.

Der "Wolfdietrich"

Drachenreiter (Cpg 365, fol. 1v)

Der Held des gleichnamigen Epos muß zuvor aber noch einige andere Abenteuer bestehen. Zunächst wird von der Kindheit des illegitim geborenen, griechischen Königssohnes erzählt. Die ersten sieben Jahre seines Lebens wird er von Wölfen aufgezogen, dann findet er zurück nach Athen und wächst dort heran. Nach zahlreichen Abenteuern mit Riesen, Heiden und einem Messerwerfer, kann er schließlich die beiden Drachen besiegen und somit ein Hilfe-Versprechen einlösen, welches er Ortnit in der Vergangenheit gegeben hatte. Aber statt bei der Witwe und im Land Ortnits zu bleiben, zieht es den Helden zurück nach Griechenland. Denn dort haben inzwischen seine beiden Brüder Wolfdietrichs Dienstleute gefangen gesetzt und die Herrschaft übernommen. Wolfdietrich gelingt es, mit Hilfe des lampartischen Heeres seine Brüder zu besiegen und das Land zurück zu erobern. Nach all diesen Abenteuern tritt der Held in ein Kloster ein, wo er bis zu seinem Lebensende bleibt. Aber selbst hier wird er von Kämpfen nicht verschont: Als das Kloster von Heiden angegriffen wird, leistet er zusammen mit seinem Sohn erfolgreich Widerstand. Dies ist die Geschichte des "Wolfdietrich" wie sie die Fassungen B und D des Werkes überliefern, die im Cod. Pal. germ. 365 enthalten sind. Daneben gibt es noch andere Redaktionen des "Wolfdietrich", die sich inhaltlich aber so stark voneinander unterscheiden, daß sie quasi schon als eigenständige Werke gelten müssen.

Die Illustrationen

Eisenhut mit Federbusch als Helmzier, Helmbrünne (Cpg 365, fol 1v)
Die Drachen (Cpg 365, fol. 2r)

Der Cod. Pal. germ. 365 entstand um 1420 in der "Elsässischen Werkstatt von 1418". Ähnlichkeiten im Schriftbild deuten daraufhin, daß das Manuskript von demjenigen Schreiber stammen könnte, der auch die ersten Blätter des Cod. Pal. gem. 371 geschrieben hat. Wie dieser Codex besitzt auch der Cod. Pal. germ. 365 nur zwei Illustrationen am Anfang des "Ortnit". Vermutlich wurden diese Darstellungen auch von den gleichen Zeichnern wie die Illustrationen des Cod. Pal. germ. 371 angefertigt. Allerdings läßt sich beim Cod. Pal. germ. 365 nicht eindeutig entscheiden, ob nun die Illustratorengruppe I oder die Illustratorengruppe II am Werk war.

Die beiden Darstellungen zeigen über zwei Blätter (fol. 1v/2r) hinweg, wie ein Reiter mit angelegter Lanze auf zwei feuerspeiende Drachen zureitet. Wahrscheinlich ist mit dem Drachenreiter der Held Ortnit gemeint, obwohl eigentlich – folgt man dem Text – nur Wolfdietrich mit den Drachen gekämpft hat. Aber es ist fraglich, ob die Illustratoren soviel Textkenntnis besaßen, daß ihnen dieser Unterschied klar gewesen ist. Wie im Cod. Pal. germ. 371 sind die Darstellungen relativ unspezifisch gehalten, so daß sie durchaus auch anderen Werken über Drachenkämpfe als Illustrationen hätten dienen können.

Harnischbrust, Ringelpanzer, Flügelärmel, Stechhandschuh, Brechscheibe (Cpg 365, fol. 1v)

Allerdings zeigt die Darstellung des Drachenreiters eine erstaunliche Detailfreude in der Wiedergabe seiner Rüstung und Ausstattung. Ortnit bzw. Wolfdietrich trägt einen Helm in der Art eines Eisenhuts, einer leichten Helmform mit Krempe, die sich am Vorbild von Filzhüten orientierte. Darunter ist er zum Schutz von Hals und Nacken mit der Helmbrünne, einem Panzerkragen, bekleidet. Als Helmzier fungiert ein aufgesteckter Federbusch.

Beinröhren, Eisenschuhe, Radsporn, Beintaschen (Cpg 365, fol. 1v)

Zum Schutz des Oberkörpers hat er außerdem eine Harnischbrust genannte Brustplatte angelegt. Darunter trägt er einen aus einzelnen Ringen geschmiedeten Ringelpanzer (Kettenhemd). Die Arme bedecken Flügelärmel mit Zaddeln, die mittels Nesteln oder Knöpfen an der Oberbekleidung befestigt wurden und so auswechselbar waren. Ein Stechhandschuh mit Stulpe und eine auf den Lanzenschaft aufgesteckte Brechscheibe schützen die Hand, welche die angelegte Lanze hält.

Die Beine stecken in Beinröhren und Eisenschuhen. Um das Pferd anzutreiben, ist an der Ferse außerdem ein Radsporn befestigt. Die Oberschenkel werden von Zaddeln des Waffenrocks bedeckt, der nicht nur über, sondern gelegentlich auch unter dem Harnisch getragen wurde.

Zur Geschichte der Handschrift

Der Cod. Pal. germ. 365 gehörte um 1556/1559 zur älteren Schloßbibliothek. Dies wird durch eine von Kurfürst Ottheinrich in Auftrag gegebene Inventarisierung belegt. Um 1581 dann war die Handschrift in der Bibliothek der Heiliggeistkirche aufgestellt. Ein heute in der Biblioteca Vaticana aufbewahrte Inventarband (Cod. Pal. lat. 1956) erwähnt das Manuskript als Wolff vnd hugo dieterich, reymen, papier, bretter, schwartz leder, bucklen.

Nach diesem Eintrag besaß der Codex damals einen schwarzen Ledereinband über Holzdeckeln mit je vier Buckeln. Auf den ersten Blättern des Manuskripts sind heute immer noch die Rostflecke der Metallstifte, mit denen diese Metallbuckel befestigt waren, zu erkennen. Als die Handschrift 1622 nach Rom gebracht wurde, entfernte man diesen Einband, wie beinahe alle alten Einbände, um beim Transport über die Alpen Gewicht einzusparen.

© Ulrike Spyra, Maria Effinger, Universitätsbibliothek Heidelberg, 09/2008

Literatur

  • Adelung, Nachrichten
    Adelung, Friedrich: Nachrichten von altdeutschen Gedichten, welche aus der Heidelbergischen Bibliothek in die Vatikanische gekommen sind. Nebst einem Verzeichnisse derselben und Auszügen, Königsberg 1796, S. 28, 216-252.
  • Amelung / Jänicke 1871
    Amelung, Arthur/ Jänicke, Oskar (Hrsg.): Ortnit und die Wolfdietriche nach Müllenhoffs Vorarbeiten (Deutsches Heldenbuch 3.1-2), 2 Bde., Berlin 1871-1873, Bd. 1.
  • Amelung / Jänicke 1873
    Amelung, Arthur/ Jänicke, Oskar (Hrsg.): Ortnit und die Wolfdietriche nach Müllenhoffs Vorarbeiten (Deutsches Heldenbuch 3.2), Berlin 1873, Bd. 2
  • Bartsch, Handschriften, 1887
    Bartsch, Karl: Die altdeutschen Handschriften der Universitäts-Bibliothek in Heidelberg (Katalog der Handschriften der Universitätsbibliothek in Heidelberg 1), Heidelberg 1887, Nr. 192.
  • Dinkelacker, Ortnit-Studien
    Dinkelacker, Wolfgang: Ortnit-Studien. Vergleichende Interpretation der Fassungen (Philologische Studien und Quellen 67), Berlin 1972.
  • VL (2) Bd. 7, Sp. 58-67 (Wolfgang Dinkelacker)
    Dinkelacker, Wolfgang, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Zweite völlig neu bearbeitete Auflage, Berlin/ New York 1978ff. (VL2), Bd. 7, Sp. 58-67.
  • VL (2) Bd. 10, Sp. 1309-1322 (Wolfgang Dinkelacker)
    Dinkelacker, Wolfgang, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Zweite völlig neu bearbeitete Auflage, Berlin/ New York 1978ff. (VL2), Bd. 10, Sp. 1309-1322.
  • Haymes 1984
    Haymes, Edward: Ortnit und Wolfdietrich. Abbildungen zur handschriftlichen Überlieferung spätmittelalterlicher Heldenepik (Litterae 86), Göppingen 1984.
  • Händl, Sigenot-Überlieferung, 1999
    Händl, Claudia: Überlegungen zur Text-Bild-Relation in der >Sigenot<-Überlieferung, in: Brunner, Horst u. a. (Hrsg.): helle döne schöne. Versammelte Arbeiten zur älteren und neueren deutschen Literatur. Festschrift für Wolfgang Walliczek (Göppinger Arbeiten zur Germanistik Nr. 66), Göppingen 1999, S. 87-129.
  • Killy, Literaturlexikon Bd. 12, S. 399-401 (Joachim Heinzle)
    Heinzle, Joachim, in: Killy, Walther (Hrsg.): Literaturlexikon, Autoren und Werke deutscher Sprache, Gütersloh 1988ff, Bd. 12, S. 399-401.
  • Killy, Literaturlexikon Bd. 9, S. 13f. (Ernst Hellgardt)
    Hellgardt, Ernst, in: Killy, Walther (Hrsg.): Literaturlexikon, Autoren und Werke deutscher Sprache, Gütersloh 1988ff, Bd. 9, S. 13f.
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    Heusinger, Christan von: Studien zur oberrheinischen Buchmalerei und Graphik im Spätmittelalter, Diss. Freiburg i. Br. o. J. (1953), S. 23ff.
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    Holtzmann, Adolf (Hrsg.): Der große Wolfdieterich, Heidelberg 1865.
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    Kofler, Walter (Hrsg.): Die Heldenbuch-Inkunabel von 1479. Alle Exemplare und Fragmente in 350 Abbildungen (Litterae N. 121), Göppingen 2003.
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  • Wegener 1927
    Wegener, Hans: Beschreibendes Verzeichnis der deutschen Bilder-Handschriften des späten Mittelalters in der Heidelberger Universitäts-Bibliothek, Leipzig 1927, S. 19, Abb. 19 (Bl. 1v)
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    Wilken, Friedrich: Geschichte der Bildung, Beraubung und Vernichtung der alten Heidelbergischen Büchersammlungen. Nebst einem Verzeichniß der aus der pfaelzischen Bibliothek im Vatican an die Universität Heidelberg zurückgegebenen Handschriften, Heidelberg 1817, S. 445.
  • Wilpert 1965
    Wilpert, Gero von: Deutsche Literatur in Bildern, 2. Erweiterte Auflage, Stuttgart 1965, S. 12, Abb. 29 (1verso).
  • Wisniewski 1986
    Wisniewski, Roswitha: Mittelalterliche Dietrich-Dichtung (Sammlung Metzler 205), Stuttgart 1986.