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ABBAU DER FREMDEN — AUFBAU DER EIGENEN FORM

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ebenso wie die Ranke, nun auch dieses ausgesprochene Randmuster verviel-
fältigt und damit zur Flächenmusterung ausgenutzt wird.
Endlich gewährt noch eine eigentümliche Gattung von Denkmälern ein be-
sonderes Interesse: die der Goldbrakteate. Die nordgermanischen Brakteate des
späten fünften und sechsten Jahrhunderts verhalten sich zu den Kaisermedaillons
oder den römischen Goldsolidi, wie die keltischen Gold- und Silbermünzen des
dritten bis ersten vorchristlichen Jahrhunderts zu ihren griechischen Vorbildern,
aber auch, nicht zu vergessen, wie das spätrömische Münzbild zu dem der klassi-
schen Antike. la allen drei Fällen wird man vom Standpunkt der klassischen
,, Schönlebendigkeit' ‘ (Riegl) aus nur eineE ntartung f eststellen können. Aber mit
dem gleichen Recht, mit dem Riegl es zugunsten der spätantiken Kunst getan
hat, müssen wir diese Bezeichnung verwerfen, oder den Begriff „Entartung"
doch nur im Sinne einer Entspezialisierung, Verdrängung der fremden Art durch
die eigene verstehen. Selbstverständlich geht die Ausbildung dieser neuen Art
im Norden weit über das Ziel der spätrömischen Kunst, die doch immer noch
das bildnismäßige suchte, hinaus. Aber es ist die gleiche Tendenz nach „Iso-
lierung der Teile in der Ebene" (Riegl), die uns hier wie dort, nur in verschieden
starkem Grade, begegnet: lösen schon die Kaisermünzen des späten vierten und
früheren fünften Jahrhunderts das Kaiserdiadem in isolierte Perlen, das Haar in
einzelne, nebeneinander gelegte Strähnen auf, so kann hieraus auf den Goldbrak-
teaten ein phantastischer Kopfputz aus lauter gereihten Stäbchen und Punkten
werden. Auge, Nase, Mund werden als Detail für sich behandelt, Brust und
Arme verschwinden, statt dessen erscheint ein Vierfüßler, Rind oder Pferd
(Taf. XVIII, 1); die noch übrig gebliebene leere Fläche wird mit symbolischen
Zeichen, Tieren oder bedeutungslosen, mißverstandenen Schriftzeichen aus-
gefüllt. Die nordischen Forscher kennen einzelnen Darstellungen dieser Brak-
teate eine gegenständliche, religiöse Bedeutung zu. Uns kann hier die ikono-
graphische Seite der Frage nicht beschäftigen, sondern nur die rein formale,
die in dem möglichst vollständigen Bedecken der Fläche mit einer Fülle leb-
haft bewegter Einzelformen besteht. Hier ist nun besonders die Einfassung
dieser Brakteatendarstellungen zu beachten, die in ihrer Hypertrophie so weit


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