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Meyer, Hans; Königliche Akademie der Künste zu Berlin [Contr.]
Die graphische Kunst: Rede zur Feier des allerhöchsten Geburtstages Seiner Majestät des Kaiser und Königs am 27. Januar 1908 in der öffentlichen Sitzung der Königlichen Akademie der Künste — Berlin: Ernst Siegfried Mittler und Sohn, Königliche Hofbuchhandlung, 1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.70860#0012
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Welt befindliches Gemälde verbreiteten, das sich die Gunst
vieler zu erwerben imstande war, und deutlich genug ist
hier der blütenreiche Nachsommer zu konstatieren, von dem
vorhin der Herr von Quandt sprach.
Ich entsinne mich mit wehmütiger Freude noch der
Stunde, in der mir der erste Anblick einer gestochenen
Kupferplatte zuteil wurde. Mein Vater, der, als über
meinen Lebensberuf beschlossen werden mußte, der
Meinung war, daß die Kunst des Kupferstechers eine
solidere materielle Basis habe als die freie hohe Kunst,
und der den Professor Eduard Mandel, den großen
Kupferstecher, aus dem Jugendverkehr her kannte, führte
mich eines Tages zu ihm. Wir fanden den alten,
schönen, weißbärtigen Mann unter seinem Blendschirm
stehen, der das grelle Licht milde brach und vollflutend
auf die goldenblinkende Kupferplatte warf. Aus dieser
strahlte mir, von tausend und abertausend feinen Linien
gebildet, Rafaels Madonna della Sedia in einem wie über-
irdischen Lichtglanze entgegen, und ich stand stumm und
wie versteinert über so viel Schönheit, von Menschengeist
und Menschenhand erzeugt.
Das Staunen über die liebevolle Hingabe an die Arbeit,
über den rastlosen, schier unermeßlichen Fleiß, in dem die
ganze Lebenskraft des ehrwürdigen Mannes aufzugehen schien,
hinterließ mir einen Eindruck, den ich nie vergessen werde.
Ich sah in dem wenige Quadratfuß messenden Stück Kupfer
die Energie und den Geist der zum Lichte emporringenden
Menschheit verkörpert, und — wenn ich mir jetzt wieder
den Augenblick und Anblick vergegenwärtige und überlege,
so habe ich damals auch richtig gesehen: Andere Erkenntnis
gibt anderes Streben, anderes Streben gibt andere Wege,
aber im ehrlichen Glauben richtiger Erkenntnis mit der
Vollkraft des ganzen Menschen zu streben, führt immer
 
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